Der Herr der Tauben

Stadttauben sind für viele Menschen ein Problem. Ein Tierschützer in Hamburg klagt nun, dass die Tauben in vielen Fällen nicht nur vertrieben, sondern gleich getötet werden. Eine Alternative könnte der „betreute Taubenschlag“ sein

Was wäre der Mensch ohne die Taube? Er wäre gar nicht, zumal nach alttestamentarischer Vorstellung. Hätte die Taube nicht Noah einen frischen Ölzweig gebracht, die Besatzung der Arche wäre in ihrer Verzweiflung kollektiv in den Tod gegangen. Später griffen die Gebrüder Grimm den Plot wieder auf. Auch der neunmalkluge Hänsel hätte samt Gretel im Walde verrecken müssen, wäre da nicht wieder eine Taube gewesen: Die war es, die den beiden den Weg zum Knusperhäuschen wies.

Heute aber, wer würde heute noch an den „heiligen“, oder auch nur einen „dienstbaren“ Geist beim Anblick einer Taube denken? Was der Mensch jetzt für gewöhnlich in den Tauben erblickt, ist: ein Problem. Tauben, heißt es, können Menschen mit Erregern infizieren. Schwerer wiegt der Umstand, dass jede Taube zwölf Kilogramm Taubenkot pro Jahr produziert. Bei angenommenen 25.000 Tauben in einer Stadt wie Hamburg ergibt das eine Kotmenge von 300 Tonnen. Dieser Schmutz bereitet vielen Menschen viel Ärger, und kostet einige Menschen, die für dessen Beseitigung aufkommen müssen, viel Geld. Für viele Menschen wäre darum viel gewonnen, wenn es weniger Tauben gäbe.

Töten darf man Tauben laut Tierschutzgesetz nur in Ausnahmefällen, mit amtlicher Genehmigung. Siegfried Hellmig von der Initiative Stadttauben in Hamburg geht aber davon aus, dass in der Hansestadt trotzdem jedes Jahr „mehrere Tausend Tiere“ getötet werden, teils in stillschweigender Übereinkunft mit den Behörden.

Als Beispiel nennt Hellmig die Wohnungsgesellschaft Saga/GWG in Hamburg. Die betreibt schon seit einigen Jahren mit der Firma Helmut Feldmann aus dem Kreis Diepholz Taubenfallen in der Trabantenstadt Mümmelmannsberg. Jetzt sollen weitere in den Stadtteilen Osdorf und Wandsbek hinzukommen. Die eingefangenen Tauben werden laut Firmenangaben an Taubenzüchter verteilt. Ein „absurdes Märchen“, meint Hellmig dazu. „Wer will schon Stadttauben haben?“, fragt er und ist sich sicher: „Die Tauben werden umgebracht.“ Rückendeckung bekommt Hellmig dabei von dem Biologen Günther Vater, der in einer Studie über das „Stadttaubenproblem“ im Bundesgesundheitsblatt lapidar zusammenfasste: „Dem Fang folgt stets die Tötung.“

Allerdings ist auch Hellmig nicht der radikale Tierschützer, den man anfangs aus seinen Worten herauszuhören meint. Eigentlich, erzählt der studierte Volkswirt, hatte er mit Tieren gar nicht viel zu schaffen. Bis er eines Tages eine junge, flugunfähige Taube sah, am Rande eines Stroms von Menschen, der blind vorüberrauschte. Er nahm das kleine, weiche Ding in die Hand und trug es nach Hause. Und, sonderbare Fügung: Gerade da hatte seine Freundin eine Taubenspezialistin kennengelernt.

Mit deren Hilfe pflegten die beiden die Taube zu Hause und erfuhren schon bald alles weitere, was es über ihren Vogel zu wissen gab: Etwa dass er von der Felsentaube abstammte; dass die Felsentauben zu Haustauben domestiziert wurden und dass die Haustauben wieder zu Stadttauben verwilderten. Oder dass die Stadttauben bis zu Zehn Mal im Jahr zwei Eier ausbrüten können und sich dezimierte Taubenpopulationen deshalb in Windeseile erholen. Ein Umstand, auf den man die Bild-Zeitung hätte aufmerksam machen wollen, als sie vor kurzem verkündete, Hamburg habe das Taubenproblem gelöst – nur dass sich dann die gemeldeten 10.000 abgeflatterten Tauben als eine einzige Ente erwiesen.

Aber Hellmig sollte noch einiges mehr über die Tauben erfahren. Etwa wie man ihnen mit einem Ruck den Kopf vom Rumpf reißt. „Da werden die Nerven direkt abgetrennt, die Tiere merken kaum was“, sagt Hellmig. Tierärzte machten das so.

Seit ein paar Jahren ist er jetzt ehrenamtlich auf dem Werksgelände von Blohm+Voss tätig. Früher habe dort eine Jäger-Fraktion auf die Tauben geschossen, sagt Hellmig, der nun mit einem Taubenschlag deren Vermehrung tiergerecht einzudämmen versucht. 70 bis 80 Vögel finden in dem Schlag Futter und Platz zum Brüten und Nisten. Die befruchteten Eier aber tauscht er mit Gipsattrappen aus. An die 3.000 Eier habe er so bereits aus dem Verkehr gezogen.

Eigentlich ein Erfolg, aber dem Taubentreiben Herr geworden sei er damit dennoch nicht, sagt Hellmig. Zu viele kämen von außen zugeflogen. Und damit bei Blohm+Voss nicht wieder die Gewehre herausgeholt würden, oder gar Gift ausgestreut, bleibe auch ihm nichts anderes, als hin und wieder eine Taube „zu sich zu nehmen“, wie er es umschreibt. Die Tötung der Tauben ist ja ein Straftatbestand.

In vielen Städten hat das Konzept des Taubenschlags gut funktioniert. In Hamburg steht Hellmig damit ziemlich allein da. Die Stadt setzt auf ein Fütterungsverbot und die Betriebe auf klassische Vergrämungsmethoden, Metallstacheln und Netze – und auf all das, worüber man laut Hellmig eben nicht spricht.

Darüber mag man sich streiten. Unzweifelhaft ist, dass in den Städten der Taubenhass gedeiht. Für den es übrigens eine einfache Erklärung gibt: Kein Tier steht den Lebensgewohnheiten des Stadtmenschen näher als die Stadttaube. Sie folgt dem Menschen auf Schritt und Tritt, und was ist ihr Dreck schon im Vergleich zu seinem? In der Taube erkennt er sich selbst. Darum klatscht der Mensch, von allen guten Geistern verlassen, in die Hände. Die Taube schlägt mit den Flügeln. Ein Lufthauch wirbelt Staub auf. Sie fliegt davon. Und der Fluch des Menschen ihr hinterher, gleich einer Kugel aus Blei.MAXIMILIAN PROBST