Datenschutz als Schutzschild

Der Fall Morsal O. im Jugendausschuss: Der Senat schweigt zu Jugendhilfemaßnahmen in den letzten Lebenstagen des Mädchens. Die Opposition drängt auf eine zweite Sitzung

Der Senat hat erstmals konkrete Zahlen über Zwangsheirat bekannt gegeben. Aus der Antwort auf eine SPD-Anfrage geht hervor, dass allein von Januar bis Juni diesen Jahres bei den interkulturellen Beratungsstellen Ibera, Lale und dem Verband binationaler Ehen (iaf) 33 Fälle von drohender Zwangsheirat bekannt wurden. Von Mai bis Dezember 2007 waren es 30 Fälle. Die meisten Fälle betreffen Frauen aus Afghanistan und der Türkei – in der Regel im Alter zwischen 18 bis 25. Es kamen aber auch elf Minderjährige zur Beratung. Für einen Gesamtüberblick fehlen die Zahlen anderer Beratungsstellen. TAZ

VON KAIJA KUTTER

Die meiste Zeit redete Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU). Er fand passende Worte zur Mordtat, sprach von „Wut auf den Bruder“, „Ohnmacht der Helfer“ und stellte den Vorfall in einen Kontext. Der Mord der 16-Jährigen Morsal O. sei ein Einzelfall, Gewalt in patriarchal geprägten Familien aber nicht. „Die Probleme dahinter treffen Hunderte, wenn nicht Tausende in Hamburg“.

Die Opposition traktierte den Senator in der Sitzung des Jugendausschusses bis halb elf Uhr abends trotzdem mit Fragen. Die Sitzung drehte sich im Kreis. Geht es um die letzten Lebenstage von Morsal O., beruft sich der Senator auf den Sozialdatenschutz. Auch wenn Morsal tot sei, bedeute dies nicht, „dass die Akte einfach geöffnet werden darf“.

Geschildert wurde von Vertretern der Justiz, dass das Mädchen am 11. Mai Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen den Vater und den jüngeren Bruder stellte und zum Kindernotdienst (KJND) gebracht wurde. Sie wurde am 13. Mai von Gerichtsmedizinern untersucht. Schon am 14. Mai wurde sie wieder von ihrem Vater misshandelt und daraufhin wieder von der Polizei zum KJND gebracht. Die Senatsvertreter sprachen von „Ambivalenz“ des Opfers im Verhältnis zur Familie. Es habe eine „Gefährdungseinschätzung gegeben, die sich an den Erfahrungsszenarien der Mehrheit der Fälle orientierte“, sagte Jugendabteilungsleiter Wolfgang Hammer: „Verdroschen zu werden bedeutet keine Lebensgefahr“. Man könne das Mädchen nicht gegen seinen Willen festhalten.

Die SPD-Abgeordneten wollten trotzdem wissen, wie es kam, dass Morsal wieder auf ihre Familie traf. Ob die „Inobhutnahme“ des KJND, die in Schutznahme des Staates, am 14. Mai zwischenzeitlich beendet worden war? Wersich und Hammer hielten sich bedeckt. „Sie war in Obhut. Sie war nicht entlassen“, sagte Wersich. „Sie wissen, dass sie jetzt keine Auskunft kriegen, wo wir die Jugendamtsakte aufmachen“.

Die Frage der Linken-Abgeordneten Kerstin Artus, ob man Morsal einen Platz in einer anonymen Wohngruppe angeboten hatte, fiel dem Datenschutz zum Opfer. Auf die Frage des SPD-Politikers Thomas Böwer, warum denn nicht nach der Misshandlung das Familiengericht eingeschaltet wurde, wie es ein Leitfaden zum Kinderschutz vorsehe, hieß es, ein Sorgerechtsentzug hätte auch nichts genützt.

Später räumten Wersich und Hammer ein, dass es am 14. Mai einen Konflikt mit den Eltern gab. „Aufgrund welcher Tatsache sich die Eltern wie eingelassen haben, das sind Daten, die können wir nicht veröffentlichen“.

Böwer war sich später sicher, dass die Senatsvertreter etwas umschiffen wollten. „Die Tinte unter die Entlassung an die Eltern war noch nicht trocken, da wird sie vermöbelt“. Statt Morsal zu den Eltern zu lassen, hätte das Familiengericht eingeschaltet gehört. Auf Bitte der SPD wird der Fall auch den nächsten Jugendausschuss beschäftigen.