„Es gab selten so einen Einklang“

KLAUS WOWEREIT, 54, führt seit 2002 den rot-roten Senat in Berlin. Er stammt aus einfachen Verhältnissen, studierte Jura und machte Karriere als Regierungsrat. Berühmt wurde 2001 sein Satz vor dem SPD-Parteitag: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“ Er soll bundespolitische Ambitionen haben, heißt es.

INTERVIEW MATTHIAS LOHRE
UND STEFAN REINECKE

taz: Herr Wowereit, vor einem halben Jahr haben Sie der SPD eine „Mobbingkultur“ attestiert. Viel besser ist es seitdem nicht geworden. Warum nicht?

Klaus Wowereit: Das habe ich in meiner Biografie über bestimmte innerparteiliche Verhältnisse geschrieben. Die SPD hat nur eine Chance, wenn sie geschlossen ist. Das heißt: Diskutieren ja, aber wenn es eine Entscheidung gibt, muss die gemeinsam vertreten werden. Genau so machen wir das.

Der Eindruck von außen ist ein bisschen anders. Wie erklären Sie sich das?

Es gab Entscheidungen, die in der SPD sehr umstritten waren. Etwa das Verhältnis zur Linkspartei oder die Bahnprivatisierung. Das haben die Medien gespiegelt. Aber: Es gibt nun Beschlüsse. Die gelten und sollten auch von niemandem in der SPD infrage gestellt werden. Ich war gegen die Bahnprivatisierung – aber ich akzeptiere, dass die SPD anders entschieden hat. Das erwarte ich umgekehrt auch beim Verhältnis zur Linkspartei, über das künftig jede politische Ebene selbst entscheidet.

Die SPD ist gar nicht zerstritten?

Nein, auch wenn Sie diese Antwort offenbar wundert. Insbesondere gilt ja: Kurt Beck hat sich in allen inhaltlichen Punkten durchgesetzt. Es hat in den letzten Jahren selten so einen Einklang zwischen der Parteispitze und der Basis gegeben.

In der Bundestagsfraktion herrscht jetzt schon Panik, weil viele angesichts von Umfragewerten um die 24 Prozent für ihr Mandat schwarzsehen.

Auch das sehe ich nicht so. Nominierungsphasen sind immer mit Unruhe verbunden. Die CSU-Abgeordneten im Bundestag und im bayerischen Landtag sind auch reichlich nervös angesichts der Umfragen in Bayern. Allerdings scheint Unruhe im Moment nur bei der SPD von öffentlichem Interesse zu sein.

Versuchen wir es allgemeiner: Mehr als zwei Drittel der Wähler neigen sozialdemokratischen Werten wie sozialem Ausgleich und Gerechtigkeit zu. Warum nutzt das der SPD nicht?

Vor allem weil das Wählerreservoir der SPD durch die Linkspartei eingeengt ist. Und weil wir es in der großen Koalition schwer haben, unsere Positionen klarzumachen. Wir müssen Kompromisse schließen – Linkspartei und Grüne nicht. Die haben es als Opposition in der öffentlichen Kommunikation einfacher. Wir haben ein weniger scharfes Profil.

wie die Union auch. Aber das schadet der CDU/CSU nicht so dramatisch wie der SPD.

Das stimmt so nicht. Die Union stellt die Kanzlerin, das nutzt ihr. Aber die Union gewinnt ja nicht, was die SPD verliert. Und sie redet sogar schon davon, dass die SPD sie herunterziehe. Das Grundproblem, der eigenen Klientel als konturlos zu erscheinen, hat die Union auch. Der Unterschied ist: Sie hat keine Konkurrenz wie die Linkspartei.

Okay – die SPD kann in der großen Koalition nicht, wie sie will, und die Linkspartei schadet ihr. Was führt aus dieser misslichen Lage?

Erstens: Die SPD muss anerkennen, dass sich die Linkspartei etabliert hat. Das ist schwierig, auch weil im Westen einige Exgenossen jetzt bei der Linkspartei mitmachen. Im Westen wird oft mit der Aversion gegen Gysi & Co argumentiert – das ist paradox. Oskar Lafontaine und Ulrich Maurer kann man ja viel unterstellen – aber SEDler waren sie nicht. Daran sieht man: Es geht noch viel durcheinander. Es ist eine sehr emotionale Debatte für die SPD. Die braucht noch Zeit. Zweitens: Weit wichtiger als die Bündnisdebatten ist die SPD selbst. Sie braucht ein klares Profil. Wir haben das Programm des Hamburger Parteitags von 2007 – das muss sich auch im Wahlprogramm 2009 wiederfinden.

Warum wird die SPD die Bündnisdebatte aber nicht los?

Weil die Union versucht, uns diese Debatte aufzudrücken. Da sage ich: Lasst sie doch. Sie werden das auf jeden Fall machen, ganz egal wie oft wir versichern, 2009 mit der Linkspartei im Bund nicht zusammenzuarbeiten. Ich bin ja wirklich unverdächtig, generelle Aversionen gegen die Linkspartei zu haben. Aber eine Koalition mit ihr im Bund kann ich mir nicht vorstellen. Die Frage geht insofern nicht an uns, sondern an die Linkspartei: Will sie regierungsfähig sein – oder nicht?

Sie regieren in Berlin schon sechs Jahre mit der Linkspartei. Was raten Sie Ihrer Partei?

Vor allem Gelassenheit. Ansonsten sind die Verhältnisse nicht eins zu eins übertragbar. Die Berliner Linkspartei ist anders als die im Bund. Wir dürfen aber auch im Bund nicht auf die Union hereinfallen, die verlangt: Die Linkspartei, das sind die Altkommunisten, das sind Schmuddelkinder, mit denen darf niemand spielen. Wir sagen hingegen: Die Linkspartei ist im Bund nicht regierungsfähig. Deshalb gibt es mit ihr 2009 keine Zusammenarbeit. Das ist ein anderer Zugang.

Und nach 2009?

Das kommt darauf an, wie sich die Linkspartei entwickelt. Ich glaube, dass es sie derzeit zerreißen würde, wenn sie im Bund Verantwortung übernähme.

Was die Linkspartei will – keine Auslandseinsätze der Bundeswehr, keine Rente mit 67, kein Hartz IV –, ist doch gar nicht so exotisch. Das ähnelt dem, was die SPD 1998 wollte. Was muss die Linkspartei denn ändern, um regierungsfähig zu sein?

Es ist nicht Aufgabe der SPD, die Linkspartei zu verändern. Und auch nicht, zu sagen, was vielleicht 2013 politisch möglich ist. Ich werde Ihnen auch keine Essentials nennen für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Das ist nicht mein Job.

Wie wird sich die Linkspartei denn künftig entwickeln?

Es wird schon interessant, was nach Gysi und Lafontaine kommt und ob die Partei den Verlust ihrer Medienstars kompensieren kann. Im Moment werden viele Konflikte ausgeklammert – bis hin zu wichtigen Teilen des Programms, die man erst nach der Wahl 2009 verraten will. Das ist doch ein Gipfel an Taktiererei und Unglaubwürdigkeit. Wir können uns aber auch nicht darauf verlassen, dass der Linkspartei eine Krise bevorsteht. Wäre die WASG allein geblieben, hätten wir sagen können: Die sind eine temporäre Erscheinung. Bei der Linkspartei ist das jetzt erst einmal anders.

Die Linkspartei ist sehr heterogen. Hält der Außendruck dort zusammen, was nicht zusammengehört?

Nein. Was die Linkspartei derzeit zusammenhält, ist der Erfolg. Aber irgendwann wird sie um inhaltliche Klärungen nicht herumkommen, dann werden auch Widersprüche deutlich.

Herr Wowereit, die SPD war immer auch eine Partei des sozialen Aufstiegs. Ihre eigene Biografie zeigt, dass Aufstieg aus dem Arbeitermilieu mal möglich war. Doch die soziale Durchlässigkeit wird geringer – obwohl die SPD seit 10 Jahren mitregiert. Was nun?

Stimmt, mit der sozialen Durchlässigkeit, die die alte Bundesrepublik kennzeichnete, hapert es. Die Abhängigkeit von staatlichen Transfergeldern wird in vielen Fällen von einer Generation an die nächste vererbt. Um das zu brechen, brauchen wir neben mehr Arbeitsplätzen mehr Bildung. Darauf hat die SPD reagiert. In mehreren SPD-regierten Bundesländern sind die Kitas gebührenfrei, in Berlin werden ab 2011 alle drei Kitajahre für die Eltern gratis sein. Bei uns gibt es Sprachförderung in der Vorschulzeit, Ganztagsschulen und Pilotprojekte für eine Gemeinschaftsschule.

Es geht aber nicht nur um Bildung, sondern auch um die tiefer werdende Kluft zwischen Arm und Reich.

Wir haben mehr Wohlstand als früher, aber er ist schlechter verteilt. Deshalb wollen wir mehr Steuergerechtigkeit. Unter anderem soll der Spitzensteuersatz von 45 Prozent für mehr Einkommensstarke gelten. Und wir wollen die Lohnnebenkosten für Geringverdiener senken. Denn viele von ihnen hätten gar nichts von Steuersenkungen, weil sie so wenig verdienen, dass sie keine oder kaum Steuer zahlen.

Ihre Pläne lassen sich nur realisieren, wenn die SPD 2009 weiterregiert – in der großen Koalition oder mit Grünen und FDP. Lassen sich Ihre Steuerideen mit der FDP verwirklichen?

Laut einer Forsa Umfrage schätzen die SPD-Mitglieder ihren Chef Kurt Beck nicht. 60 Prozent halten seine Arbeit für schlecht. Gut ein Drittel der Mitglieder ist, laut Forsa, mit der SPD so unzufrieden, dass sie in letzter Zeit über einen Austritt nachgedacht haben. Dem Kurs der Parteiführung, eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei abzulehnen, stimmen 59 Prozent zu – 39 Prozent sind für eine Zusammenarbeit. Das Forsa-Institut befragte 801, wie es heißt, repräsentativ ausgewählte SPD-Mitglieder. Die SPD hat derzeit 532.000 Mitglieder. Forsa-Chef Manfred Güllner wird von der SPD vorgeworfen, eine Anti-SPD-Kampagne zu inszenieren. SPD-Chef Kurt Beck sagt zu den Forsa-Zahlen: „Was Herr Güllner aus seiner Glaskugel liest, das habe ich noch nie kommentiert.“ Unpopulär ist die SPD auch laut Infratest Dimap: Nur 24 Prozent würden derzeit SPD wählen. SR

Schauen wir mal, welche Koalitionsmöglichkeiten es nach der Wahl gibt. Mit dem heutigen Programm der FDP wäre das nicht gerade ein leichter Gang. SPD und Liberale liegen weit auseinander.

Wo sehen Sie Brücken zur FDP?

Wir sind hier nicht in Koalitionsverhandlungen. Es kommt darauf an, möglichst viele sozialdemokratische Inhalte durchzusetzen, in welcher Konstellation auch immer.

Aber Sie müssen den Wählern doch vor der Wahl sagen, in welcher Koalition Sie Ihr Programm umsetzen wollen.

Diese Frage stellt sich bei jeder Partei. Wir haben in Hessen gesehen, wie schnell solche Festlegungen schiefgehen. Da haben sich alle Parteien festgelegt. Und nu’? Nu’ haben wir jar nüscht.

Sorgt es Sie nicht, dass sich die CDU in Hamburg mit den Grünen eine neue Machtoption geschaffen hat?

Ich kann die inhaltliche Positionierung der Grünen nicht beeinflussen. Vielleicht werden sie sich weiter zu einer konservativen, marktradikalen Partei entwickeln, und die FDP schwenkt zurück auf einen sozial verantwortlichen Kurs. Das kann ich nicht vorhersehen.

Haben Sie in letzter Zeit mal mit Herrn Westerwelle geredet?

Nicht im politischen Sinne.

Viele Gemeinsamkeiten scheinen Sie nicht zu besprechen zu haben.

Die FDP hat sich bislang eindeutig an der Seite der Union positioniert. Wenn sie sich wieder zu einer sozialliberalen Partei entwickelt, wie wir sie aus gemeinsamen Regierungszeiten kennen, dann ist sie natürlich koalitionsfähig.