Den Kindern kein Anwalt

Um die Abschiebung zweier minderjähriger Flüchtlinge nicht zu gefährden, ließ das Bremer Jugendamt nicht zu, dass sie anwaltlich vertreten werden. Mit den beiden gesprochen haben soll der bestellte Amtsvormund nie

VON CHRISTIAN JAKOB

Schwere Vorwürfe erheben Anwälte und Mitarbeiter des Roten Kreuzes gegen das Bremer Jugendamt: Um zwei 13 und 14 Jahre alte unbegleitete kurdische Flüchtlinge abschieben zu können, soll der Amtsvormund eine anwaltliche Vertretung nicht zugelassen haben. Einer der beiden wurde am Montag in Haft genommen und später nach Tschechien deportiert. Der 13-Jährige hält sich aus Angst vor einer Abschiebung derzeit versteckt.

„Einen so jungen Flüchtling in Haft zu nehmen, ist keine Kleinigkeit“ sagt Udo Casper, Sozialpädagoge beim Roten Kreuz. „Das Amt wird sich dazu noch einige Fragen stellen lassen müssen.“ Die beiden Jungen sind aus einem kurdischen Dorf auf dem Landweg nach Bremen gereist. Familie haben sie hier nicht. Kurden, an die sich die beiden wandten, brachten sie Anfang Dezember zu Casper. Der begleitete die Jungen zur Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber. „Die beiden wurden dann in einem Wohnheim für minderjährige Flüchtlinge in Obhut genommen“, berichtet er. Als Amtsvormund setzte ein Familiengericht eine Mitarbeiterin des Jugendamtes ein.

Kurz darauf stellten die Jungen einen Asylantrag. „Dabei wurden sie nur von einem Dolmetscher des Wohnheims zur Anhörung beim Asyl-Bundesamt begleitet“, sagt Casper. Dass der Vormund minderjährige Flüchtlinge begleitet, vorab berät oder ihnen einen Rechtsbeistand beschafft, sei „in solchen Fällen wohl nicht üblich“, sagte die Sprecherin des Bremer Sozialressorts, Petra Kodré.

Das Bundesamt lehnte die Asylanträge ab – per Fingerabdruckvergleich stellte es fest, dass sich die beiden auf dem Weg nach Deutschland bereits in Tschechien aufgehalten hatten. Die so genannte Drittstaatenregelung schließt in solchen Fällen ein Asyl aus. Einzige Ausnahme: minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge. „Das Dubliner Abkommen sieht hier die Möglichkeit vor, dass das Asylverfahren in Deutschland durchgeführt werden kann“, sagt der Bremer Rechtsanwalt Erich Peter. „Der Amtsvormund wäre verpflichtet gewesen, dieses geltend zu machen.“

Auf Behördenseite sieht man das anders: „Wir haben hier keinen Anlass gesehen, einen solchen politischen Willen geltend zu machen,“ sagt Sprecherin Kodré. Gleiches bekam die Anwältin Christine Graebsch zu hören, die sich mit ihrem Kollegen Peter des Falles annehmen wollte: „Das Jugendamt hat mir ausdrücklich gesagt, dass sie wollen, dass die Kinder abgeschoben werden“, so Kodré. „Und deshalb bestehe auch keine Notwendigkeit, dass hier ein Anwalt tätig werde.“ Für Graebsch ein klarer Fall von Pflichtverletzung: „Der Vormund muss sich vom Wohl des Kindes leiten lassen – und nicht von den Interessen der Ausländerbehörde.“

Die Behörde begründet ihr Abschiebungsinteresse damit, dass die Jungen in ein „kriminelles Milieu“ gerutscht seien. Nach Angaben der Polizei sollen sie während ihrer Zeit in dem Jugendheim „mehrfach“ im Zusammenhang mit Drogengeschäften aufgefallen sein. Ob dies auch mit einer mangelnden Betreuung zusammen hängt, bleibt offen. Das Ressort räumt zumindest große Personalprobleme ein. „Insgesamt ist dass ein sehr schwieriges Klientel, wegen der Perspektivlosigkeit“, sagt Kodré. „Da steht die Sozialarbeit manchmal ganz schön ratlos da.“ Auch habe es bei der Geschichte der Jugendlichen „einige Ungereimtheiten“ gegeben.

Für die „Perspektivlosigkeit“ indes sorgte die Ausländerbehörde selbst: Sie setzte für den 14. Mai einen Abschiebetermin an. Die beiden jungen Kurden tauchten unter. Aus der Illegalität heraus wendeten sie sich dann wieder an Casper. Der ging mit ihnen zum Jugendamt. „Da haben die beiden gesagt, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen können, nach Tschechien zurückzugehen, da sie kein Tschechisch sprechen und sie dort niemanden kennen“, sagt Casper. Sie hätten ausdrücklich darum gebeten, falls sie nicht in Deutschland bleiben dürfen, wenigstens in die Türkei abgeschoben zu werden. Der zuständige Sozialarbeiter habe bei dem Gespräch zugesichert, sich um die Sache zu kümmern. Die beiden wurden wieder in Obhut genommen und gingen zurück in das Jugendwohnheim.

Am Montagnachmittag erschien dort die Polizei und nahm den 14-Jährigen in Abschiebehaft. Am nächsten Tag fuhren Bundespolizisten den Kurden nach Tschechien.

Ein Eilantrag der Anwältin Graebsch wurde abgelehnt, weil dass Jugendamt sie nicht bevollmächtigt hatte. Obwohl der inzwischen untergetauchte 13-Jährige schriftlich niedergelegt hat, dass er von ihr vertreten werden will, stellt sich das Jugendamt weiter quer: „Als ich für den jüngeren der beiden versuchte die Vollmacht zu kriegen, hieß vom Vormund nur: Kein Interesse!“

Der Vormund „hat kein einziges Mal mit den Kindern gesprochen“, sagt Casper. Die Kinder nicht an dem Entscheidungsprozess zu beteiligen, das sei eine Verletzung „elementarer Kinderrechte“ und ein Verstoß gegen „grundlegende Pflichten eines Vormunds“. Das Bremer Rote Kreuz rief in dem Fall des Abgeschobenen am Donnerstag den Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) an.