Klang als undurchdringliche Masse

So klingt der Nihilismus: Die Volksbühne präsentiert mit Keiji Haino einen wichtigen Mann der Noiseszene Japans

Für die einen ist er der größte Musiker der Welt, für die anderen ein unerträglicher Krachmacher. Das Schöne daran: Beides trifft auf Keiji Haino zu. Die Möglichkeit, sich heute Abend in der Volksbühne mit eigenen Ohren davon zu überzeugen, sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen.

Keiji Haino ist selbst in der für Extreme bekannten japanischen Noise-Szene eine Ausnahmeerscheinung. Seine Musik steht für sich, bestimmt von luftzerfetzendem Gitarrenspiel und einer, gelinde gesagt, wandlungsfähigen Stimme. Mit ihr drückt er Dinge aus, von denen so mancher lieber nichts wissen würde. Dieser Expressivität gerecht zu werden, ohne in schwarzromantisch-existenzialistischen Kitsch zu verfallen, ist nicht leicht. Die negativen Extreme des Lebens wie Angst, Verzweiflung, Wut und das Leiden am Dasein überhaupt scheinen in Hainos Stimme zu einem Schrei verdichtet, der durch Mark und Bein geht und den Ohren kräftig zusetzt.

Ein Wort, das Keiji Haino wie kein anderes beschreibt, ist „schwarz“. „So, Black Is Myself“ lautet der Titel eines seiner Solo-Alben, und tatsächlich zeigt sich der kleine, beunruhigend schmächtige Mann stets ganz in Schwarz und mit schwarzer Sonnenbrille vor den Augen. Einzig die grauen Strähnen in seinen hüftlangen Haaren sorgen für leichten Farbkontrast. Schwarz ist nicht nur das Äußere von Keiji Haino, sondern auch seine Musik. Indes zelebriert er nicht die dunklen Seiten des Lebens, er stellt sie aus, ohne Rücksicht auf Schmerzgrenzen. Klang wird bei ihm zu einer ganz und gar physischen Angelegenheit, zu einer undurchdringlichen Masse, die kein Licht reflektiert. Wenn er singt, ist es, als würde er seinen Seelenzustand unvermittelt offenbaren. Ironie ist für diesen Mann ein Fremdwort.

Trotz seiner extremen künstlerischen Position ist Keiji Haino alles andere als ein musikalischer Einzelgänger. Von seinen vielen Projekten ist das „Power Trio“ Fushitsusha am bekanntesten. Mit der Band Aihiyo konzentriert sich Haino auf Coverversionen von Rock-Klassikern wie „Satisfaction“, die er in sein radikalpsychedelisches Idiom überführt. Die Liste der Musiker, mit denen er gespielt hat, ist ziemlich lang und bunt: Da sind die japanischen Experimentalkollegen vom Duo Ruins, Jazzgrößen wie der deutsche Saxofonist Peter Brötzmann, der amerikanische Tausendsassa Bill Laswell oder die Krautrocker Faust. In der Volksbühne war er bisher mit dem Ensemble Zeitkratzer und den finnischen Elektronikern Pan Sonic zu hören, diesmal arbeitet Haino mit dem amerikanischen Multimediakünstler Cameron Jamie zusammen, für dessen Film „JO“ er den Soundtrack geschrieben hat. Hainos Produktivität scheint kaum Grenzen zu kennen: Auf über hundert Schallplatten ist er zu hören, dreißig davon sind Soloalben. Andererseits ist der 1952 im japanischen Chiba geborene Haino ein echter Spätzünder: „Watashi-Dake?“, sein Solodebüt aus dem Jahre 1981, ist die Einführung in Haino-Musik.

Der Multiinstrumentalist spielt außer Gitarre auch Schlagzeug, Drehleier oder elektronische Klanggeneratoren. Oft klingen die Instrumente nicht so, wie man es von ihnen erwarten würde. Als „Blues von wagnerschen Ausmaßen“ hat man seine Musik bezeichnet, und tatsächlich ist Haino entscheidend vom Blues beeinflusst, auch wenn es nur selten herauszuhören ist. Bei seinen Konzerten kann man den Eindruck gewinnen, da kämpfe einer gegen Dämonen. Man darf gespannt sein. Hörschutz wird empfohlen. TIM CASPAR BOEHME

13. Juni, Keiji Haino + Cameron Jamie, Volksbühne, 20 Uhr