Ottopoulos kann’s nicht lassen

„Wunder gibt es nicht alle 14 Tage“: Und noch nicht mal alle vier Jahre. Otto Rehhagel sieht das Aus seiner Griechen gelassen. Im Gegensatz zu einigen Spielern möchte er bis zur Qualifikation für die WM 2010 unbedingt weitermachen

AUS SALZBURG FRANK HELLMANN

Eine weltmännische Aura umgibt ihn, eine weitgreifende Altersweisheit ohnehin. Insofern war gar nicht überraschend, wie sich Otto Rehhagel nach dem vorzeitigen Aus der griechischen Nationalmannschaft gebärdete. Der Europameister 2004 ist entthront – ehe das Championat 2008 in seine eigentliche Entscheidung geht. Und was tat „König Otto“? Schwadronierte im Stil eines Aristokraten. Die vorletzte Audienz bei diesem „europäischen Fußball-Festival“ (Rehhagel) war wieder mal weitaus unterhaltsamer als das, was seine ergrauten Auserwählten beim 0:1 gegen Russland im Salzburger Stadion dargeboten hatten.

Das flinke russische Ensemble von Guus Hiddink hat nun gegen Schweden die Siegchance zum Weiterkommen, während die überalterte und schwerfällige griechische Elf ein bedeutungsloses Spiel gegen Spanien bestreitet. Rehhagel tat so, als habe er das alles kommen sehen. „Ich bin nicht so enttäuscht. Insbesondere ich als Fachmann habe gewusst, dass wir nicht dreimal 3:0 gewinnen.“ Als der 69-jährige Nationaltrainer in der Pressekonferenz sprach, wirkte er anfangs ruhig und gefasst. Doch von Minute zu Minute verlor der Altmeister seine Beherrschung, und es kam zu einer der skurrilsten Runden dieser Art. Schon die Frage nach der verpassten Titelverteidigung machte „Rehakles“ ganz fuchsig: „2004 hat es Wunder gegeben. Dass Griechenland Europameister wird, geschieht nur alle 30 Jahre und nicht alle 14 Tage. Sonst wäre es kein Wunder.“ Es murmelte im Saal – Rehhagel unter Hochspannung. Der sodann die „Ottokratie“ erläuterte: „In Griechenland ist die Demokratie erfunden worden. Wir leben in Deutschland aber auch in einer Demokratie, und ich sage ebenfalls, was ich will.“ Schlussendlich wurde er noch Grundsätzliches los, weil er das Rede-und-Antwort-Spielchen leid geworden war: „Die Akropolis steht seit 3.000 Jahren. Wenn wir alle in 200 Jahren nicht mehr sind, steht die immer noch da. Okay, das war’s für heute.“ Dann stand er auf und ging zur Glastür. Unter sparsamen Applaus und sperrigem Gelächter.

Es ehrt einen Erfolgstrainer, seine eigenwillige Sicht der Dinge kundzutun. Doch Rehhagel blendet in der öffentlichen Aufarbeitung immer öfter die Realitäten aus. Er pries den Gegner wie den neuen Turniersieger. „Die Russen sind super. Da lacht einem das Herz, da werden sich auch andere noch umgucken“, beschied Rehhagel. „Das sind alles hervorragende Sprinter und glänzende Fußballer, Bayer Leverkusen und Bayern München können das bestätigen.“

Aber muss man deshalb eine so erbärmliche Figur abgeben wie Torwart Antonios Nikopolidis? Der 36-Jährige war in der entscheidenden Szene derart orientierungslos durch den Strafraum geirrlichtert, dass Konstantin Syrjanow mühelos den Ball über die Linie drückte (33.). Abermals spielte der griechische Clooney den grotesken Torwart-Clown – Nikopolidis zog gestern die erwartete Konsequenz. Gemeinsam mit Abwehrrecke Paraskevas Antzas kündigte der Schlussmann seinen Rücktritt an. „Ich habe diese Entscheidung schon vor langer Zeit getroffen“, so der Pannenfabrikant aus Piräus.

Eine griechische Grunderneuerung ist nicht nur auf der Position der Nummer eins unumstößlich. Es gibt zu viele von den einst gefeierten Helden, die ihren Zenit überschritten haben. Traianos Dellas, der schwerfällige Abwehrchef, Angelos Basinas, der fehlerhafte Mittelfeldstratege, Angelos Charisteas, der glücklose Torjäger. Niemand von denen hat beim Turnier an die Leistungen der Qualifikation angeknüpft und doch reagierten Presse und Publikum milde. Mit Ovationen wurden die Protagonisten auf dem Platz bedacht, das Gezeter in den Gazetten blieb vorerst aus. Sogar Verbandsboss Vassilis Gagatsis glaubt, dass Rehhagel bei der WM-Qualifikation 2010 der Richtige ist – und „Rehakles“ glaubt das ja ohnehin. Als tatsächlich jemand wagte, den Essener nach Konsequenzen zu befragen, mutierte der Fußballlehrer zum Oberlehrer: „Bevor Sie es ausgesprochen haben, weiß ich, was Sie denken: Ich bin viel älter als Sie. Alles, was Sie im Kopf haben, weiß ich längst.“ Die entscheidende Frage aber lautet: Hilft diese Allwissenheit wirklich immer weiter?