Löst ein 24-Stunden-Bioladen die Tankstelle ab?

Kirsten Reinhardts Gastro- und Gesellschaftskritik: Das Fresh ’n’ Friends in Berlin-Prenzlauer Berg betreibt Ökohedonismus auf genaue Art

Heutzutage soll ja nicht nur der Feminismus Spaß machen – auch Öko ist nicht mehr leichenbitter, sondern cool. Mit dem Fresh ’n’ Friends in der Kastanienallee verhält es sich genau wie mit den „neuen“ Feministinnen. Weil ihnen Sex und Karriere Spaß macht, haben sie einen Rüffel von Alice Schwarzer bekommen: „Wellness-Feminismus“ sei bäh! Und genau das würde der gute, alte Ökoladen wohl auch dem nachhaltigen 24-Stunden-Supermarkt vorwerfen.

Hier gibt es neonfarbene Wände in Pink und Giftgrün – Ökoporno gewissermaßen – und nichtbiologische Chips und Bier aus der Ferne. Wo im traditionellen Bioladen die Waren auf naturbelassenem Holz lagern, glänzt Chrom. Die Regale sind – von Ökowindeln und Biosuppen bis Edelschokolade und Piccolos – voll mit einer Mischung aus öko, regio und lecker. Letzteres ist weder öko noch regio. Der Energydrink etwa, das Salz aus Ibiza oder das Rothaus-Bier aus dem Schwarzwald. Die Milchprodukte aber sind ebenso Bio-zertifiziert wie das Fleisch – Müsli oder Hülsenfrüchte sind sogar Bioeigenmarke. So ist das Motto denn auch „Just Good Food“ und erlaubt vieles.

Der Laden betreibt Ökohedonismus – auf eine genaue Art. Dass es hier nicht so riecht wie in einem Bioladen, war den Betreibern des Ladens ein echtes Anliegen. Tofu aus Brasilien mag bio sein, es wird trotzdem nicht bestellt, wenn für den Anbau der Regenwald dran glauben muss. Dann lieber ein Nichtbioprodukt aus korrekter und naher Herstellung – das ist die Philosophie des Fresh ’n’ Friends. Ein Ökostrom-Anbieter versorgt das 24 Stunden hell erleuchtete Geschäft und den riesigen Flachbildschirm-Fernseher für die EM-Spiele mit Energie.

Kürzlich war das überstylte Fresh ’n’ Friends Schauplatz eines Modefotoshootings für die Stilbeilage einer konservativen Tageszeitung. Eine blonde Schauspielerin schwärmte darin, dass nun endlich ein Bioladen die Tankstelle abgelöst hätte, wenn der nächtliche Heißhunger kommt. Auf der Webseite des Ladens werden die Mitarbeiter als „Freshboys“ und „Freshgirls“ bezeichnet und das passt dann auch perfekt auf die Kastanienallee, die längst zur Meile des Indie-Tourismus mutiert ist.

Schrecklich hip, das Ganze? Wem der Hype um das neue Öko in Berlin-Mitte ohnehin ein Graus ist, sollte Reißaus nehmen. Wer nachts Lust bekommt, sich ein frisches Biosteak zu braten oder sich eine Biosuppe aufwärmen lassen will und weder Tankstellenqualität noch -preise gern hat, darf sich freuen.

FRESH ’N’ FRIENDS, Kastanienallee 26. 24 Stunden 356 Tage geöffnet, M1 Schwedter Str., Frische Biosuppen (Rote Linse, Tomate, Ingwer-Karotte) 5,50 €, 2 Bio-Rumpsteaks 12,70 €, Ökopampers 13 €, Kettle-Chips 3,99 €, 0,5 l Biofruchtjoghurt 1,75 €