Der Imparator

Ja, auch die Türkei hat einen Fußballkaiser: Nationaltrainer Fatih Terin glaubt daran, dass seine Mannschaft den Einzug ins Finale schaffen kann

AUS GENF TOBIAS SCHÄCHTER

Josef Piontek hat in seinem Ferienhaus im Norden Dänemarks das wundersame 3:2 der Türkei gegen Tschechien verfolgt. Der mittlerweile 68-Jährige, den sie in der Türkei den „Vater des Erfolges“ des türkischen Fußballs in den letzten 20 Jahren nennen, versuchte Anfang der 1990er-Jahre als Nationaltrainer, dem türkischen Fußball eine neue Mentalität zu verleihen. „Früher gingen die Türken mit großer Begeisterung ins Spiel und am Ende oder nach einem Rückstand sind alle Spieler in sich zusammengebrochen“, erinnert sich der ehemalige Bundesligaspieler von Werder Bremen.

Das ist heute ganz anders. Zum zweiten Mal haben die Türken einen Rückstand bei dieser EM in einen Sieg verwandelt. Die türkischen Fußballer ergeben sich nicht mehr wie früher in ein scheinbar unabwendbares Schicksal. Auch der heutige Coach Fatih Terim war damals dabei, als Piontek ein neues Trainerausbildungssystem erfand und ein Talentsichtungssystem, das nach Typen Ausschau hielt, die „nicht gleich den Kopf in den Sand“ stecken. Hakan Sükür, Tugay, Alpay oder Rüstü bildeten diese erste neue Generation türkischer Spieler, die den ehemals belächelten türkischen Fußball 2002 zum WM-Dritten machten. Terim war unter Piontek Co-Trainer; längt ist aus ihm der „Imparator“ (Kaiser) des türkischen Fußballs geworden, der 2000 mit Galatasaray zum ersten Mal mit einer türkischen Mannschaft den Uefa-Cup gewann, in Italien Florenz und den AC Mailand trainierte und nun zum zweiten Mal eine türkische Nationalmannschaft ins Viertelfinale einer EM geführt hat.

Bescheidenheit ist nicht seine Sache. Sonntagnacht stand Terim nach dem Triumph vor dem Mannschaftsbus und hatte das Hemd fast bis auf den Bauchnabel geöffnet. Nach dem Verpassen der beiden letzten großen Turniere sind die Türken wieder zurück im Konzert der großen Fußballnationen und genießen die Anerkennung.

Niemand im Stade de Genève hat für möglich gehalten, dass die Türken dem Spiel gegen die Tschechen nach dem 0:2 noch eine Wende geben können. Koller hatte die Osteuropäer in der ersten Halbzeit in Führung gebracht (34.), in der die Türken noch wie türkische Mannschaften früherer Tage Angst vor dem Versagen zu haben schienen. Doch nach einem „Arschtritt Terims“, wie Rechtsverteidiger Hamit Altintop die Pausenansprache des Imparators zusammenfasste, kamen die Türken wie verwandelt auf den Platz zurück. Die Tschechen zogen sich immer weiter an den eigenen Strafraum zurück, als sei dort ein Unterstand gegen den einsetzenden Regen.

Es bleibt dennoch rätselhaft, wie die Türken dieses Spiel letztlich doch noch haben drehen können. Arda setzte in der 75. Minute mit seinem Anschlusstreffer das Signal zu einer turbulenten Schlussphase. Lag es einfach an Torwart Petr Czechs epischem Patzer, der den Ball nach einer Flanke aus der Hand gleiten ließ, und Nihat dann gedankenschnell zum Ausgleich (87.) einstochern durfte? Nun glaubten alle an das Elfmeterschießen, das nach einem Remis gedroht hätte, doch Terim, so erzählte der Trainer es am Tag danach in einem Genfer Luxushotel, habe seine Mannschaft zum Siegtreffer gepuscht. Die Tschechen waren müde, die Türken hatten noch Kraft, und tatsächlich schlenzte Nihat den Ball nach einem Pass von Tuncay noch zum Siegtreffer in den Torwinkel.

Doch die Turbulenz war noch nicht zu Ende. Der türkische Torwart Volkan schubste in der Nachspielzeit Koller um und sah die rote Karte. Volkan wird gegen Kroatien ebenso fehlen wie Mehmet Aurelio, der die zweite gelbe Karte sah. Doch die Türken lassen sich durch nichts ihren Optimismus nehmen, auch wenn alle Innenverteidiger des Kaders lädiert sind und Emre und Tümer wohl weiter ausfallen. „Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir bis ins Finale gehen können, und das sage ich auch jetzt“, bemerkte Terim. Die türkischen Journalisten applaudierten.