Ein Anwalt auf Abwegen

Die Anklage warf ihm Nötigung, Anstiftung zur Sachbeschädigung und Beihilfe zur Falschaussage vor. Vor dem Kieler Landgericht kam ein Rendsburger Anwalt nun mit einer Bewährungsstrafe davon

„Auch wenn Herr S. nicht leugnet, den Zeugen als Blödmann bezeichnet zu haben, passt die konkrete Verbalisierung nicht.“

von ESTHER GEISSLINGER

Grünes Hemd mit Stickerei, grüne Weste mit Lodenknöpfen – an eine Jägerausrüstung erinnerten die Dinge, mit denen Michael S. sich gestern im Kieler Landgericht umgab. Vielleicht war S. in den vergangenen Monaten auf der Jagd, vielleicht fühlte er sich gejagt, unmöglich zu sagen nach einem einzigen Prozesstag.

Vor dem Gericht sagte S. wenig, ließ seine Anwälte sprechen, dabei kennt er sich aus bei Prozessen, schließlich ist er selbst Anwalt, 54 Jahre alt, Rendsburger, verheiratet, hat ein Häuschen in einem schmucken Innenstadtviertel.

Angeklagt war er wegen Beleidigung, Nötigung, Anstiftung zur Sachbeschädigung, Beihilfe zur Falschaussage. 26 Taten hielt der Staatsanwalt ihm vor, aufgeteilt in acht Anklagepunkte, ein Wust von Details. S. soll eine Mandantin angestiftet haben, Auto, Wohnwagen und das Haus eines weiteren Nachbarn mit Farbe zu besprühen. Und in zwei Fällen soll er Zeugen zu Falschaussagen zumindest ermuntert haben. In einem Fall war S. selbst angeklagt: Beim Verfahren vor dem Amtsgericht Rendsburg, wo er sich wegen Beleidigungen verantworten musste, hatte S. einen Bekannten dazu überredet, auszusagen, er sei am Tattag mit ihm in Dänemark gewesen.

Monate zuvor soll S. mit der Freundin eines seiner Mandanten eine Aussage abgesprochen haben: Der Mandant stand in Flensburg wegen Diebstahls vor Gericht, die Zeugin erklärte, sie habe die Beute, Bank-Blankoschecks, auf der Straße gefunden und sie „zufällig“ beim Beschuldigten liegen gelassen.

Um die Tiraden vorzutragen, die S. angeblich seiner ehemaligen Freundin und Nachbarn an den Kopf geworfen hat, hätte es sich gelohnt, einen Schauspieler zu engagieren:

„Drecksau“ und „alter Lappen“ waren noch die höflicheren. Die Nachbarin soll, so stand es in der Anklageschrift, Schlafstörungen bekommen haben nach einer solchen Attacke. Mehrmals war von „meinen Jungs“ die Rede, deren Sanktionen er der Ex-Freundin und den Nachbarn ankündigte: „Es sind schon drei auf dich angesetzt, zwei kommen noch, dann Gnade dir Gott“, soll er der Freundin am Telefon gesagt haben, und auch dem Nachbarn drohte er: „Ich habe meine Jungs, wer sich mit mir anlegt, zieht den Kürzeren.“

Ein langes Verfahren also kündigte sich an, die ersten Zeugen standen bereits vor der Tür der Strafkammer, aber S.‘ Verteidiger baten um ein Gespräch mit den Richtern hinter verschlossenen Türen, selbst die Schöffen waren nicht dabei. Nach einer Pause verkündete der Vorsitzende Richter, was besprochen worden war: Wenn S. gestände, wenn er seine Anwaltszulassung zurückgäbe und die Berufung gegen das Urteil des Rendsburger Amtsgerichtes zurückzöge, käme er mit einer Bewährungs- und einer Geldstrafe davon.

S. ließ seinen Anwalt für sich sprechen, der ein schriftliches Geständnis verlas, verfasst in schönstem Juristendeutsch, das alles sanfter klingen ließ: Die „Verbalattacken“ gegen die Ex-Freundin hätten sich vor allem in einer Nacht abgespielt, in der S. „erheblich unter Alkoholeinfluss gestanden“ habe, eine Wiederholung sei ausgeschlossen. S. habe die Freundin bei einem späteren Treffen nicht getreten – nein, getorkelt sei er, ebenfalls alkoholisiert.

Und die Sache mit den Nachbarn: „Mein Mandat weiß, dass er gelassener reagieren muss.“ Auch die Nachbarn hätten gedroht, so der Verteidiger, der zudem bestritt, dass die Beschimpfungen so weit unter die Gürtellinie gegangen seien, wie in der Anklage vermerkt: „Auch wenn Herr S. nicht leugnet, den Zeugen gelegentlich als Blödmann bezeichnet zu haben, passt die konkrete Verbalisierung nicht.“

Die erste der zwei Anstiftungen zur Falschaussage räumte S. ein, im zweiten Fall sei S. „über zulässiges Verteidigerhandeln hinausgegangen“. Auch die Mitschuld an den Sachbeschädigungen gab der Anwalt im Namen des Mandanten zu. S. saß währenddessen ruhig da, die Arme verschränkt, und schaute auf die Papiere vor sich. Das Gericht hatte einen Psychiater als Gutachter geladen, der S. während des Prozesses beobachten sollte. Wegen des abgekürzten Verfahrens wurde der jedoch nicht gehört.

Das Urteil fiel fast wie zuvor besprochen aus: ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung, 2.000 Euro Geldbuße. S. wolle sich bessern, sagte er in seinem Schlusswort.