Kein Facharzt mehr vor der Tür

Gesundheitsunternehmen kaufen Praxen, um sie zu Versorgungszentren zusammenzulegen. Das senkt die Kosten, könnte aber dazu führen, dass Konzerne das Gesundheitswesen beherrschen

VON GERNOT KNÖDLER

Viele Mediziner werden in den kommenden Jahren ihren Kassenarztsitz verkaufen. Dabei zeichnet sich ab, dass ihre Praxen mit anderen in „Medizinischen Versorgungszentren“ (MVZ) zusammengefasst werden. Für die Krankenhauskonzerne tut sich damit ein neues Geschäftsfeld auf. Kritiker befürchten, dass der Weg zum Arzt lang werden könnte und dass die Konzerne ihren Einfluss auf dem Gesundheitsmarkt ausweiten.

„Wir gehen davon aus, dass jeder dritte Facharzt überlegt, in den nächsten fünf Jahren seinen Praxissitz zu übertragen“, sagt Peter Oberreuter von der Geschäftsführung der Asklepios-Kliniken Hamburg. In Hamburg gibt es 4.100 Kassenärzte in 3.000 Praxen. 600 bis 800 wollen aufhören. Eine eigene Praxis zu betreiben lohne sich aus Sicht vieler Ärzte nicht mehr, weil die Einkünfte durch die Gesundheitsreformen begrenzt worden seien. Bei Praxen in Randgebieten sei dieses Problem besonders groß.

Wird eine Praxis an Ort und Stelle von einem anderen Arzt übernommen, kann es den Patienten egal sein. Derzeit geschieht es allerdings vermehrt, dass Kassenarztsitze gekauft und damit in attraktiveren Stadtteilen Praxen eröffnet werden. Plötzlich ist der nächste Facharzt weit weg. Medizinische Versorgungszentren können diesen Trend verschärfen, wenn deren Betreiber ohne Rücksicht auf Verluste Praxissitze verlegen. So regte sich Unmut, als der Bezirk Hamburg-Harburg – mit 200.000 Einwohnern eine eigene Großstadt – seinen einzigen kardiologischen Facharztsitz verlieren sollte.

Der Klinik-Konzern Asklepios, der in Hamburg die Landeskrankenhäuser übernommen hat, wehrt sich gegen die Unterstellung, mit den Versorgungszentren würden große Lücken ins Netz der Arzt-Praxen gerissen. Asklepios-Geschäftsführer Oberreuter übergab der Kassenärztlichen Vereinigung, die die Zahl der Ärzteniederlassungen reguliert, am Dienstag eine „Freiwillige Selbstverpflichtungserklärung“. Darin verspricht Asklepios, „die Gründung von MVZ so vorzunehmen, dass eine wohnortnahe Versorgung der Patienten sichergestellt und das medizinische Angebot erhalten oder sogar ausgebaut wird.“ Eine Fokussierung auf bestimmte Stadtteile sei nicht vorgesehen.

„Wir wollen klar machen, dass wir ein Vor-Ort-Versorger sind“, sagte Oberreuter. Der Konzern betreibe überall in der Stadt Krankenhäuser. Deshalb sei es wichtig, dass auch die fachärztliche Versorgung vor Ort bleibe. Asklepios könnte daran ein Interesse haben, weil die Fachärzte aus den Asklepios-MVZ ihre Patienten womöglich bevorzugt in die Asklepios-Kliniken schicken.

Die MVZ haben ihre Vorzüge: Die Zusammenarbeit mehrere Mediziner an einem Ort ermöglicht einen besseren Austausch, teure Geräte können gemeinsam genutzt oder, wenn ein Konzern hinter dem MVZ steht, billig eingekauft werden. Eine Praxismanagerin übernimmt einen großen Teil der Verwaltungsarbeit.

Auch der im Stadtteil Wilhelmsburg praktizierende Arzt Manuel Humburg glaubt, das Kooperation und Arbeitsteilung unter den Ärzten vorteilhaft sei. Die meisten jungen Ärzte würden sich gerne einstellen lassen, vermutet er. Das bedeute aber nicht, dass MVZ von Konzernen eingerichtet werden müssten. „Es ist die Frage, wer das Sagen hat“, findet Humburg, dem ein genossenschaftliches Modell der Zusammenarbeit vorschwebt. „Was Asklepios kann, das können wir auch selber.“

Bisher gibt es 25 medizinische Versorgungszentren in Hamburg. Damit nehme Hamburg hinter Berlin den zweiten Rang unter den deutschen Großstädten ein, sagte Walter Plassmann, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung. Nur fünf dieser MVZ lägen nicht in den Händen der dort arbeitenden Ärzte.