Schwingende Materialschlacht

Das amerikanische Elektronikduo Matmos spielte im Festsaal Kreuzberg mit großem Maschinenpark. Konzeptuell war es weniger streng als früher

Der Name Matmos steht für Musik aus seltsamen Geräuschen: Fettabsaugvorgänge, Spermatropfen und dergleichen. Die beiden exzentrischen Elektroniker Drew Daniel und Martin C. Schmidt arbeiten streng konzeptuell und verspielt zugleich. Woher sie ihre Geräusche auch entlehnen, immer haben ihre Stücke Witz und Groove. Am Dienstag stellten sie unter Beweis, dass die musikalische Qualität keinesfalls von der Herkunft des Tonmaterials abhängig ist.

Matmos stellen ihr aktuelles Album „Supreme Balloon“ vor. Und warten dabei mit einer Überraschung auf: Erstmals verzichten sie auf Mikrofone, es gibt weder Aufnahmen aus dem Verdauungstrakt einer Kuh zu hören noch von Nasenoperationen. Stattdessen ertönen Synthesizer, so weit die Trommelfelle reichen. Alte Analoggeräte mit Klängen, wie sie die elektronisch und auch anderweitig ausufernden Siebziger beherrschten. Etwas nostalgisch wirken die pluckernden, fiepsigen Maschinenklänge, ein übergeordnetes Konzept ist nicht in Sicht.

Liegt es daran, dass Matmos aus San Francisco ins weniger glamouröse Baltimore gezogen sind, wo Daniel jetzt als Anglistikprofessor lehrt? Das allein würde die konzeptuelle Abstinenz jedoch kaum erklären. Vielleicht wollte das Paar einfach ohne Überbau musizieren. Das Ergebnis gibt ihnen mehr als Recht. Der Verzicht auf einen theoretischen Rahmen, der die Musik auf etwas außerhalb ihrer selbst verweisen lassen würde, schadet dem neuen Album kein bisschen. Die Schönheit der sich scheinbar selbst genügenden Schwingungen ist, so Daniel, allenfalls eine Art Widerstand gegen die Hässlichkeit der Welt, in der sie entstanden sind. Das muss genügen.

Auf der Bühne bieten Matmos mehr als bloße Synthesizer-Verträumtheit. Gleich im ersten Stück gibt es Frequenzen zu hören, die mehr weh- als wohl tun. Einer ihrer Titel widmet sich der schlechten Klangqualität von Pornos, Rauschen und ähnliche Störgeräusche sind „Absicht“. Platz gibt es auch für Alberei, als wortkarge Klangtüftler geben sie sich nicht. „Ich bin erkältet, darum habe ich heute eine total sexy Stimme“, begrüßt Schmidt seine Zuhörer.

Was auf ihrem Album als Spielerei mühelos glückt, überzeugt auch live. An die Körper der Zuhörer haben Matmos ebenfalls gedacht und bringen mit ihren ausgedehnten Improvisationen, unterstützt vom Gitarristen Jay Lesser, das Publikum sogar ein wenig zum Tanzen. Schön zu sehen, dass alle drei Musiker auf der Bühne tatsächlich Instrumente spielen: Daniel und Schmidt sitzen nicht nur an Rechnern, sondern hauptsächlich an Synthesizern.

Wie zu erwarten, beenden Matmos ihr Konzert mit dem Titelstück ihres Albums, einem fast halbstündigen Ballonflug durch Analognebel und Sägezahnspiralen. Cluster und Klaus Schulze lassen grüßen, und zwar aufs Allerwärmste. Die Hypnose funktioniert grandios, ganz ohne Beat oder Hippieallüren. Nicht einmal die computergenerierten Op-Art-Videos stören. Die Aneignung der Vergangenheit gelingt als Neuschöpfung ohne Epigonenkrampf.

Weniger gelungen dafür der Auftritt der Vorband, nicht zuletzt leibhaftige Repräsentanten der Vergangenheit. Keine Geringeren als die eine Hälfte der legendären (und nach orthodoxer Auffassung einzigen) Industrialband Throbbing Gristle, das Duo Cosey Fanni Tutti und Chris Carter, gaben sich die Ehre, den Abend zu eröffnen, kurz nach dem 2:0 Italiens gegen Frankreich. Daniel, ein großer Fan von Throbbing Gristle, veröffentlichte zu Beginn des Jahres ein Buch zu ihrem „klassischen“ Album „20 Jazz Funk Greats“.

Wie das Buch den beiden als „Carter Tutti“ firmierenden Krachveteranen gefallen hat, war an diesem Abend nicht zu ermitteln. Immerhin schienen sie gern zu spielen. Doch was für Ziele sie mit ihrem Auftritt eigentlich verfolgten, blieb etwas im Dunkeln. Die ambientesken Klangteppiche konnten sich zwischen hypnotisch und belanglos nicht so recht entscheiden. Auch die symbolisch überfrachteten Videoprojektionen im Hintergrund halfen da nicht wirklich weiter. Als Auftakt mehr als in Ordnung, aber für Legenden ein bisschen wenig.

TIM CASPAR BOEHME