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: Der Tod kam in der Geisterbahn

Atemberaubend: King Hus Kampfkunstspektakel „Ein Hauch von Zen“ aus dem Jahr 1971

Ein Fremder taucht auf und macht für Ku Shen Chai (Chun Shih) die traute Heimatstadt zur Fremde. Ku Shen ist ein Bücherwurm, der gerne Konfuzius zitiert und als Junggeselle über dreißig noch bei Muttern lebt.

So prosaisch liegen die Dinge für den Helden des Films. So prosaisch bleiben sie nicht. Der Fremde bringt die große Welt in die Stadt. In Gestalt der schönen Nachbarin Yang (Hsu Feng), die auf der Flucht vor dem mächtigen Eunuchen Wei Unterschlupf fand im verwunschenen Fort, in dem Ku Shen Chai und Mutter mietfrei wohnen. Ein angeblich blinder Seher ist mit von der Partie, ein Verbündeter Yangs mit Namen General Shih (Ying Bai) und ein großer Schwertkämpfer, genau wie sie.

Der Fremde jagt Yang – und Ku, der kein Kämpfer ist und keiner wird, schläft mit ihr. So gerät er, nolens volens, auf ihre Seite. Gespensterglaube wird im sechsfachen Splitscreen unter den Kämpfern des Eunuchen verbreitet. In der Nacht verwandelt Ku das Fort in eine Geisterbahn, und in Schwertkämpfen sterben die zu Tode erschrockenen Männer in großer Zahl. Am Tag bewundert Ku seine ingeniöse Geisterbahnkonstruktion. Er lacht und lacht, bis ihm vor lauter Toten das Lachen vergeht.

„Ein Hauch von Zen“ ist ein aufwändig gedrehtes dreistündiges Filmepos. Es ist der grandioseste aller Wuxia-Filme, also jenes spezifisch chinesischen Genres, das Kampfkunst mit Übersinnlichem kombiniert. Die vorliegende Version ist der Director’s Cut, mit dem Hu 1975 in Cannes zu recht den Spezialpreis für Technische Leistungen gewann. Es macht aber der Titel schon deutlich, dass der Film alles Technische, so großartig es ist, himmelhoch transzendiert.

Und zwar in den meditativen Ruhemomenten ebenso wie in den Kämpfen. Die Gegner treffen einander zur Schlacht nachts im Geisterfort und bei Tage im Bambuswald, atemberaubend im einen wie im anderen Fall. Im Dunkeln des Geisterforts verzaubert King Hu den Raum, reduziert die Bilder und Klänge auf rennende Schemen und gespenstisches Läuten, ein kaum auszumachendes Flattern und Fliegen im Zwischenreich von Dunkel und Licht. Es wird gehuscht und gerannt und gekämpft und getötet unter Schwertergeklirr. Der Höhepunkt aber ist die Begegnung im Bambuswald. Hier konzentriert King Hu seine Mittel zu einer Szene, die für Ang Lees „Tiger and Dragon“ das unerreichbare Vorbild blieb.

Sehr viel mehr als der andere klassische Wuxia-Großmeister Chang Cheh, der den Körpern ihre Schwere und Materialität lässt, liebt Hu die schiere, Bewegung ins Blitzen und Schweben auflösende Abstraktion. So verstreben die unzähligen Bambusstangen in der Vertikalen das Bild, in das er in raschen Pinselbewegungen horizontal die fliegenden Kämpfer tuscht. Überwunden werden die Gesetze der klassischen Physik, manchmal schon durch flugunterstützende Darstellerverdrahtung, vor allem aber mit den Mitteln des Schnitts.

King Hu nämlich spielt mit dem Auge des Betrachters wie die Katze mit der Maus. Es ist oft nicht zu sagen, was man sieht: einen Flug? Einen Sprung? Einen Körperblitz vor Bambusverstrebung? Geraten die Kämpfenden überhaupt in Kontakt oder war der Schlag vor den Kopf, der den Gegner in die Tiefe des Raumes schleudert, nur ein Schnitt, der einzig im Zuschauerauge aufeinanderprallen lässt, was sich in Wirklichkeit niemals berührte? Die Antwort bleibt aus, der Effekt aber nie. Man kann wissen, dass die ganze Zauberei nichts ist als bloßer Trug, elektrischer Schatten. Ja, das kann man wissen und trotzdem haut „Ein Hauch von Zen“ jede und jeden berührungslos um. EKKEHARD KNÖRER

DVD ohne Extras, dafür neben dem englisch untertitelten Original eine deutsche Synchronfassung. Sie ist für rund 10 € im Handel erhältlich