hamburger szene
: Am Nationalgefühl kratzen

Vorbei an der Fußballfanmeile führt täglich mein Weg. Vorbei auch an den Mülleimern vor der U-Bahnstation, die eines morgens plötzlich einen neuen Anstrich hatten: in satten Farben aufgetragen schwaz-rot-gold. Ich war kurz davor, die Nase zu rümpfen über diesen schlechten Scherz der Stadtreinigung, als mir der Schriftzug auf dem Eimer auffiel: „Nationalgefühl in die Tonne“ las ich da, in einer Sprechblase, die auf den dunklen Schlund des Eimers wies.

Man kann darin die perfekte Verbildlichung einer gerade gängigen Vorstellung sehen: Die allgegenwärtigen Nationalfarben sind wie Faschingsschminke. Wenn man nur ein bisschen daran kratzt, nach dem Spiel oder wenigstens nach der Dusche, kommt unter dem Deutschlandfan sogleich der Weltbürger zum Vorschein.

Was der Mülleimer hier so schön und sprechend ins Bild setzt, ist erstaunlicherweise die genaue Umkehrung einer früheren, ebenso gängigen Vorstellung. Als man sich bei jeder Gelegenheit unter den Banner des Universalismus scharrte, da ging das ungute Gefühl um, man müsse nur ein wenig an der Oberfläche der selbsternannten Kosmopoliten kratzen und schon komme die altbekannte deutsche Fratze zum Vorschein.

Was denn nun? Als ich abends wieder an den Mülleimern vorbeifuhr, musste ich jedenfalls eine betrübliche Beobachtung machen: Irgendwer hatte daran herumgekratzt. Nicht an der Farbe, sondern an der Aufschrift.

MAXIMILIAN PROBST