Merkel weiß es doch auch nicht

BERLIN taz ■ Die Bühne war eindrucksvoll bereitet, als die Bundeskanzlerin am Donnerstag zu ihrer Regierungserklärung ansetzte. Die Minister saßen fast vollzählig auf ihrer Bank, um zu hören, was ihre Chefin über die Zukunft der Europäischen Union zu sagen hatte. Immerhin sollte es um die Frage gehen: Wie vermeiden wir eine kontinentweite Depression nach dem Nein der irischen Wähler zum Reformvertrag von Lissabon?

Doch schnell wurde klar: Auch die außenpolitische Strategin Angela Merkel weiß nicht, wie die EU aus ihrer Krise finden soll. Und das nur wenige Stunden, bevor die Kanzlerin zum zweitägigen Treffen der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten nach Brüssel flog. Merkel weiß vor allem, was sie nicht will.

„Europa kann sich keine erneute Reflexionsphase leisten“, sagte die Kanzlerin. Bereits im Juni 2009 stehen die Wahlen zum EU-Parlament an. Daher drängt die Zeit, bis spätestens Anfang kommenden Jahres einen Weg aus der Krise zu weisen. Doch wie könnte der aussehen? Die regelmäßig aufflackernde Diskussion über ein „Kerneuropa“ besonders integrationswilliger Staaten hält Merkel für „teilweise fahrlässig“. Die Geschlossenheit Europas sei „kein Selbstzweck, sondern ein hohes Gut“. Weil die 27 EU-Staaten die „Herren der Verträge“ sind, führe an deren einstimmigen Beschlüssen „kein Weg vorbei“.

Die Kanzlerin hält am Ziel fest, die abgespeckte Version der EU-Verfassung durchzusetzen: „Wir brauchen den Vertrag von Lissabon.“ Nur wenn er Wirklichkeit werde, „erhalten die nationalen Parlamente Rechte, die sie bisher nicht haben“.

Schelte für die Auslöser der jüngsten EU-Krise sparte sich Merkel. „Wir werden mit den Iren gemeinsam einen Lösungsweg suchen“ und finden. Zur selben Zeit erbat der irische Premierminister Brian Cowen mehrere Monate Zeit, um nach einem Ausweg aus der Sackgasse zu forschen. Merkel und Cowen wollten noch vor Beginn des EU-Gipfels miteinander sprechen.

Die Opposition stach in die offene Flanke der Regierung – ihre Ratlosigkeit. Der Linke-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi erklärte, Merkel habe „nicht einmal die Idee einer Lösung angeboten“. Die Absage der irischen Wähler liege an den Ängsten, die ein „Europa der Regierungen“ bei den Bürgern erzeuge. So schränke der Europäische Gerichtshof die Streikfreiheit ein und kippe das niedersächsische Vergabegesetz, das Mindestlöhne bei öffentlichen Aufträgen festschreibt.

In Richtung Gysi rief der Vizefraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, das Nein der Iren liege nicht nur an der Angst vor der EU. Sondern auch an „subventionsgierigen“ Unternehmern, katholischen Abtreibungsgegnern, der IRA und der „marktradikalen Murdochpresse“. Merkel hielt Trittin vor, sie sei auf die Abstimmungsniederlage nicht vorbereitet gewesen: „Sie stehen ohne Plan B da.“

Merkel schwieg dazu. Ihr Parteifreund, der Vorsitzende des Europa-Ausschusses Gunther Krichbaum, nicht: „Es gibt keinen Plan B. Über eben diesen Plan B haben die Iren ja abgestimmt.“ MATTHIAS LOHRE