Die Hülle des Immateriellen

Strom ist ein Abstraktum. Man erkennt ihn nur an seinen Früchten: am Licht der Birne, an der Wärme des Föns. Die Wedeler Stadtwerke haben jetzt besser als jeder andere Anbieter den Warencharakter des Stroms begriffen – und ihn in Tüten verpackt

VON MAXIMILIAN PROBST

Mit dem Strom verhält es sich ein bisschen so, wie mit dem Unbewussten. Beide liegen dem Leben zugrunde, bestimmen und durchwalten es, ohne dabei selbst präsent zu werden. Nur manchmal, bei Fehlleistungen, blitzt das Unbewusste kurz auf, so, wie uns die Bedeutung der elektrischen Energie für den Alltag schlagartig bei einem Stromausfall zu Bewusstsein kommt.

Dass es sich beim Strom um einen großen Unbekannten handelt, macht auch unser fehlerhafter sprachlicher Umgang mit dem Wort deutlich. Stromverschwendung, Stromverbrauch – alles Unsinn, denn Strom, das besagt das Energieerhaltungsgesetzt, lässt sich gar nicht verbrauchen, sondern nur umwandeln: in eine andere Energieform. Vor diesem Hintergrund lässt sich ermessen, wie geschickt die Wedeler Stadtwerke ihren „Wechselstrom“, ein Angebot für Wechselkunden, vermarkten. Sie verpacken, zumindest symbolisch, den Strom in Tüten und präsentieren ihn, gleichsam auf die Hand, in Hamburger Bäckereien.

Fünf Euro kosten die „Wechsel-Tüten“ und enthalten Informationen zum Angebot, den Vertrag, zwei Fünf-Euro-Gutscheine und eine Tafel Schokolade. Strom, lautet die Botschaft, ist eine so konkrete Ware wie jede andere auch, den Anbieter zu wechseln so einfach wie morgens Brötchen holen.

Laut den Wedeler Stadtwerken, die ihr Angebot in Kooperation mit den Stadtwerken Elmshorm und Schleswig vermarkten, hat man das in mehreren Tausend Hamburger Haushalten auch sogleich verstanden. Vielleicht auch darum, weil der Preis des Angebots stimmt, und man für zwei Euro Zuschlag im Monat 100 Prozent Ökostrom aus schwedischen und österreichischen Wasserkraftanlagen ins Haus bekommt.

Der nächste Schachzug des Unternehmens bestand darin, ihre Strommarke als 100 Prozent „konzernfrei“ zu bewerben. Die Stoßrichtung geht hier klar gegen Anbieter wie Eon-Hanse und Vattenfall, die den Hamburger Strommarkt dominieren. Und auch hier ersann man wieder eine Strategie, die die Aufteilung des Strommarktes greifbar machte.

Unter dem Motto „30.000 Quadratmeter konzernfreie Energie“ erklärten die Wedeler Stadtwerke den Stadtteil St. Pauli zur “Wechselzone“. Dazu wurde im Stadtteil symbolisch ein mobiler Grenzübergang errichtet und mit einem Zöllner versehen. „Wir verstehen diese Aktion als amüsante Antwort auf die Aufteilung der Versorgungsgebiete durch die vier großen Energiekonzerne“, so Matthias Wendel, Geschäftsführer der Wedeler Stadtwerke. „Wenn die ihre Claims abstecken können, dann machen wir das eben auch. Auf unsere Art.“

Schon zuvor konnten die Wedeler Stadtwerke den FC St. Pauli als Kunden gewinnen. Für Geschäftsführer Wendel, der von sich sagt, er sei St. Pauli-Fan, seit er denken könne, passt das Unternehmen zum Verein wie die Faust aufs Auge: „Genau wie wir als kleiner Regionalversorger muss der Verein gegen das große Geld der Big Player Leidenschaft und Kreativität stellen“, erklärte er den Zusammenschluss. Von der gemeinsamen „David-gegen-Goliath-Situation“ sprach man auch beim Verein. Und dass man es unterstütze, wie die Wedeler den Wettbewerb am Energiemarkt anheizen.

Der Eon-Hanse wurde das Treiben der Wedeler Stadtwerke offenbar zu brenzlig. Vor kurzem warb der Energieriese seinem kleinen Konkurrenten kurzerhand den pfiffigen Geschäftsführer ab. Ab Juli soll Matthias Wendel, mit Anfang 40 in seinen besten Jahren, jetzt das Privatkundengeschäft von Eon-Hanse beleben. Das Zwanzigfache, statt 30.000 Stromkunden wird er zukünftig mehr als 600.000 betreuten, das war ein Angebot, dass man einfach nicht ablehnen konnte, sagt Wendel.

Ehrlicher wäre wohl gewesen, der Mann hätte auf sein Gehalt verwiesen. Das wird mit dem Wechsel nicht minder gestiegen sein.