Präventive Schuldnerberatung

Rund 850.000 junge Erwachsene in Deutschland sind überschuldet, auch die KlientInnen der Schuldnerhilfe werden immer jünger. Diese Woche schickte sie ihre BeraterInnen in Schulen, um über „Schuldenfallen“ zu reden – und darüber, was das Leben eigentlich kostet. Ein Besuch in einer 10. Klasse

„Viele kommen heute schon mit 20 in die Schuldnerberatung“, sagt Corina Lechner

von Jan Zier

Natürlich – das Handy. Auf der langen Liste von „Schuldenfallen“, die die zehnte Klasse des Schulzentrums an der Butjadinger Straße an die Tafel pinnt, stehen mobile Fernsprecheinrichtungen an erster Stelle. Das war auch neulich schon so, als Schuldnerberaterin Corina Lechner eine vierte Grundschulklasse in der Gartenstadt Süd besuchte. Auch das Internet wird immer wieder genannt. Schließlich hat die eine oder der andere sich – ja, zugegeben, auch in dieser Runde – schon mal ein Klingeltonabo andrehen lassen.

„Überschuldete Eltern – arme Kinder“ ist das Motto der achten Aktionswoche der Schuldnerberatung, die diese Woche stattfand. Rund 850.000 junge Erwachsene zwischen 18 und 20 Jahren sind in Deutschland verschuldet, sagen ExpertInnen. 250.000 von ihnen seien sogar überschuldet und könnten ihre Außenstände nicht mehr zurückzahlen. Eine Erfahrung, die auch die Schuldnerhilfe Bremen immer wieder macht. „Viele kommen heute schon mit 20“, sagt Lechner, und dass die KlientInnen in den letzten Jahren zunehmend jünger werden. „Kinder und Jugendliche bekommen häufig nicht verständlich vorgelebt, wie sie Wünsche und finanzielle Möglichkeiten in Einklang bringen können“, sagt auch Schuldnerberater Ralf Regenhardt. Lechner spricht von „Unwissenheit“. Aber auch von „aggressiver Werbung“. Von Preisen, die in Prospekten zunehmend als Höhe des Ratenkredits angegeben würden.

Auch den „Dispo“ – den hochprozentigen Überziehungskredit – hat einer der ZehntklässerInnen in die Liste der „Schuldenfallen“ eingereiht. „Was ist denn das?“ kräht ein anderer dazwischen. Ein rundes Drittel der 18 SchülerInnen meldet sich bei der Frage nach dem eigenen Konto. Und ein 16-Jähriger erzählt, dass er auch „mal ins Minus gehen kann“, auch mal 150 Euro am Schalter abheben kann, obwohl er nur noch 100 hat. „Die können das doch gar nicht so schnell nachprüfen.“

Rund 27.000 Kinder in Bremen leben von staatlichen Sozialleistungen, fast ein Drittel aller Kinder, sagt Martina Steinmann vom Fachzentrum Schuldnerberatung, seien „von Armut betroffen“. Also soll ein so genannter „Finanzführerschein“ den SchülerInnen dabei helfen, Corina Lechner in der Zukunft nicht wieder begegnen zu müssen. Was eine Bürgschaft ist, wird da beispielsweise gefragt, wie lange man an Handy-Verträge gebunden ist, was der Unterhalt eines Autos kostet und wogegen eigentlich eine Lebensversicherung hilft. „Brauche ich so etwas überhaupt“, fragt Lechner in die Runde. Die Frau ist erst 25 und, wie sie sagt, alleinstehend. „Wer soll denn das Geld bekommen?“

Auch bei den Banken gibt sich Lechner eher kritisch. Warum sie überhaupt Kredite anbieten, wird da unter Punkt 25 gefragt. „Sie wollen an den Zinsen verdienen“, soviel ist klar. Die meisten SchülerInnen wollen aber auch die Antwort „Handel und Wirtschaft sollen unterstützt werden“ als richtig gelten lassen. Lechner nicht. „Die Banken würden sich gerne damit schmücken.“

Strittig ist unter den jungen Leuten indes die Frage, wie viel Geld man laut Sozialgesetzbuch wohl zum Leben braucht im Monat, also für Essen, Trinken, Klamotten – das Notwendigste eben. Die Kategorie 400 bis 450 Euro scheidet von vornherein aus, soweit sind sie sich einig. Also 300 bis 350 Euro? „Überleg doch mal“, ruft eine dazwischen, „wie wenig die Leute mit Hartz IV kriegen!“ Also doch eher 200 bis 250 Euro? Man ist meist nicht verwöhnt, hier in Woltmershausen.

„Die Eltern müssen offen mit den Kindern reden“, fordert Lechner, auch über Geld, über die Frage: „Was kostet eigentlich das Leben?“ Was man für einen Führerschein hinblättert – „mehr als 1.000 Euro“ – das wissen sie alle, die 16-, 17-Jährigen, aber bei der Frage, was man für eine eigene Wohnung einkalkulieren muss, wird es schon schwierig. Und muss man dort eigentlich Rundfunkgebühren zahlen? „Ich bin befreit“, sagt eine, die schon über eine eigene Wohnung verfügt.

Aber es müssten viel mehr werden, fordern die Bremer Schuldnerberatungsstellen. Für sie dient die Aktionswoche nicht allein der Prävention, der Senkung der Nachfrage nach ihrer Arbeit. Eine Arbeit, die vom Land Bremen nicht mehr mit Fördergeldern bedacht werde, wie Lechner sagt. Die Schuldenhilfe finanziert sich über Einzelfallberatung, die dann gegebenenfalls die Bremer Agentur für Integration und Soziales (Bagis) übernehmen muss. Auch für Arbeit im Knast ist beispielsweise kein Geld da, sagt Anja Stache von der Bremer Straffälligenbetreuung. „Die Situation ist leider so, dass wir dieses Angebot neben unserer Tätigkeit in der Schuldnerberatung unbezahlt leisten.“ Das gilt auch für Lechners Schulbesuche.

„Der Zugang zu qualifizierter Schuldnerberatung muss kostenfrei sein“, fordern die ExpertInnen. Ebenso wie ein „Guthabenkonto für jedermann“, das habe selbst die Bundesregierung schon 1995 von der Kreditwirtschaft eingefordert. Bislang existiert dazu nur eine Selbstverpflichtung der Banken. Die funktioniert, sagt die Kreditwirtschaft. Die Schuldnerberater sehen das anders.

Immerhin, die Viertklässer von der Grundschule an der Karl-Labs-Straße zeigten sich „gut informiert“. Und auch die zehnte Klasse in Woltmershausen verlässt Corina Lechner „mit einem guten Gefühl“.