Asse strahlt elfmal mehr als erlaubt

Cäsiumlauge im Pannen-Atomlager Asse ist schwerer verseucht als bisher bekannt. Bundes- und Landespolitiker weisen sich gegenseitig die Schuld zu. SPD, Grüne und Linke denken über Untersuchungsausschuss nach

VON KAI SCHÖNEBERG

„Aufp-asse-n“ steht auf Schildern in Vorgärten und an Straßenrändern bei Remlingen im Osten Niedersachsens, wo immer neue Nachrichten über bislang vertuschte Cäsiumfunde die Anwohner des Versuchsendlagers Asse II verunsichern. Wer bei der Kontrolle der Asse nicht aufgepasst hat, war am Freitag bei Bundes- und Landespolitikern hoch umstritten. Wer hat geschlampt? Die Betreibergesellschaft Helmholtz-Zentrum München (HZM), Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), in deren Zuständigkeit die Asse liegt, das Landesamt für Bergbau, dem die Asse unterstellt ist? Oder das Umweltministerium in Hannover, das die Asse atomrechtlich beaufsichtigt? So viel ist klar: Nach einer Sondersitzung im Umweltausschuss des Landtags kündigten Grüne, SPD und Linke an, dass sie stark über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses nachdenken. Außerdem will Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) mit Schavan und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) reden.

Im Ausschuss war bekannt geworden, dass die in der Asse aufgefundene Cäsiumlaugen sogar mit bis zum elffachen des zulässigen Grenzwerts belastet waren. Bis vor drei Jahren waren täglich 300 Milliliter Lauge in das Bergwerk gesickert. Seither sei der Zufluss jedoch versiegt, berichtete Umweltstaatssekretär Stefan Birkner. Noch im April hatte der Asse-Betreiber HZM von Belastungen im Bereich der „Umweltradioaktivität“ gesprochen. An diesem Montag hatte das HZM einräumen müssen, dass die mit Cäsium belastete Lauge bis zum achtfachen des zulässigen Grenzwerts von 10.000 Becquerel belastet war. Einen Tag später war bereits von einer neunfachen Überschreitung der Freigrenzen die Rede. Prompt äußerte Sigmar Gabriel erhebliche Zweifel „an der Zuverlässigkeit und der Fachkunde“ des HZM. Schavan erklärte, die Asse sei „keine tickende Zeitbombe“. Birkner betonte, es gebe „keine Gefahr für Menschen und Umwelt“.

„Eine Flut von Unklarheiten, Fragen und Verdachtsmomenten in Bezug auf das Missmanagement im Atommülllager Asse“, sah dagegen Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel. Dass die HZM die verseuchte Cäsium-Lauge ohne atomrechtliche Genehmigung von 750 Metern auf 975 Meter Tiefe gepumpt hat, hält er für „klar rechtswidrig“. Bei einer Überschreitung der Grenzwerte habe das zuständige Landesamt für Bergbau dem Betreiber keine bergbaurechtliche Genehmigung erteilen dürfen, die insgesamt 77 Kubikmeter stark verseuchter Cäsiumlauge in die Tiefe der Asse zu pressen. Hier hätte das bedeutend strengere Atomrecht gelten müssen, meint auch Sigmar Gabriel: Das Landesamt habe „nach den bislang vorliegenden Informationen gegen geltendes Strahlenschutzrecht verstoßen“, sagte der Minister.

„Es gibt ein Kommunikationsproblem zwischen Betreiber, Landesamt und Umweltministerium“, sagte der Wolfenbütteler SPD-Abgeordnete Marcus Bosse. Dem kann Staatssekretär Birkner kaum widersprechen: Sein Ministerium, das die Aufsicht über die Asse hat, habe erst im September 2007 vom Cäsium erfahren; erst vor einer Woche von den Grenzwertüberschreitungen, die dem Amt schon seit Jahren bekannt waren. Birkner: „Es gab immer wieder Fragen nach der Lauge, die negativ beantwortet wurden. Wir hatten keinen Anlass, da scharf ran zugehen.“

„Man kann nicht die Atomaufsicht annehmen und sie dann nicht wahrnehmen“, entgegnet die SPD-Umweltexpertin Petra Emmrich-Kopatsch. „Das muss doch ein institutionalisiertes Geben und Nehmen sein.“

HZM-Sprecher Heinz-Jörg Haury wunderte sich indes, „warum die Aufregung so groß ist.“ Die Überschreitung der Grenzwerte sei dem Landesamt gemeldet worden. Er will „überhaupt nicht ausschließen“, dass neue Überschreitungen an die Öffentlichkeit sickerten. Täglich dringen derzeit außerdem zwölf Kubikmeter Salzlauge in die Asse, wo 125.000 Atommüll-Fässer lagern. Staatssekretär Birkner betonte, derzeit stehe „alles auf dem Prüfstand“. Offenbar auch die geplante Flutung der Asse. HZM-Sprecher Haury sagte hingegen: „Wir haben nicht ewig Zeit. Das ist ein Bergwerk, das nicht besser wird.“