Grauenhaft einfältiges Marktsystem

betr.: „Der Markt ist schlauer als gedacht“, taz vom 18. 6. 08

Selten hab ich einen Artikel gelesen, der so unter allem intellektuellen Niveau bleibt wie der von Herrn aus dem Moore. Kann man schon die Börsen-Notierung von Obama und die wirklich lebenswichtigen Saalfragen von Jauch als Musterexempel nicht ertragen, so ist auch der Rest unterm Strich.

Herr aus dem Moore ist beunruhigt, weil die Akzeptanz dieses Wirtschaftssystems schwindet. Beim Volk wohlgemerkt, immer noch nicht bei den „Eliten“, das er ja für schlauer hält als diese. Und rühmt gleichzeitig den Markt, weil er als „gesammelte Intelligenz der Laien“ funktioniere, die ihn aber inzwischen mehrheitlich zu Recht ablehnen.

„Fast über Nacht füllten sich die Schaufenster und Regale“ wegen des Marktes und der freien Preisbildung, meint er. War da nicht noch was Stoffliches dabei wie (fossile) Energie und Rohstoffe im scheinbaren Überfluss, krasses Ausbeutungsverhältnis zwischen den 20 Prozent Bevölkerung der Industrienationen mit ihrem Militär und den 80 Prozent Rest der Menschheit und menschliche Arbeit?

Der Herr hat wohl nicht gemerkt, dass sich inzwischen, weil 6,5 Milliarden Menschen das so nachmachen wollen, Schaufenster und Regale anfangen zu leeren, weil der Markt nicht nur mit Nahrungsmitteln spekuliert, sondern seine „wirtschaftsweisen“ Propagandisten (die die taz in derselben Ausgabe immer noch ernsthaft ohne Gänsefüßchen so betitelt) immer noch glauben, wenn man mehr bezahlt, gibt’s keinen Mangel nach dem Motto: Wenn der Markt also mit seinen industrialisierten Fischfang- und Verarbeitungsmaschinen die Reproduktionsfähigkeit des Meeres und seiner Bewohner inzwischen fast zerstört hat, weil alle billige Fische wollen, bezahlen wir das Doppelte, dann wird’s wieder Fische geben. Er hat, wohl ohne es zu merken, das grauenhaft Einfältige dieses Systems schön offengelegt: Es gibt nur eine Größe, den Preis, und so kann der Dümmste das Richtige tun: Billig kaufen, solange es was zu kaufen gibt, Rendite machen und Wetten abschließen, und danach die Sintflut.

Dieses Wirtschaftssystem, das die gesamte Komplexität physikalischer, biologischer, sozialer, kultureller Faktoren auf das Steuerinstrument Geld und Markt reduziert, existiert erst seit rund 200 Jahren und hat uns in dieser vergleichsweise kurzen Zeit in den absehbaren globalen Kollaps gebracht, wie uns alle Daten über Klima-, Müll-, Wasser- und chemische Verseuchungsprobleme zeigen.

Da waren die Bauern im Feudalismus und ihre Lehnsherren klüger: Die fraßen nicht ihre Saatkartoffeln auf, wenn die Ernte schlecht war, ließ man die Produzenten nicht verrecken, weil man wusste: Man braucht sie noch. Eine dümmere Epoche finden wir kaum in der Menschheitsgeschichte. Sogar die Zivilisation der Osterinseln hat es 600 Jahre lang geschafft, bevor sie an der Eitelkeit und Naturvergessenheit ihrer Eliten (die im Wettbewerb immer größere Statuen bauten und dafür die restlichen Ressourcen opferten) zugrunde ging.

Im Übrigen: Wieso sind die Ökonomen die „Propheten der Effizienz“? Effizient wäre es, Schäden zu vermeiden anstatt sie sehenden Auges anzurichten und dann Reparaturversuche zu machen, wie wir es heute mit dem Klima probieren. Aber natürlich ist es schön, wenn man an der Zerstörung verdient und dann noch an der Reparatur. Bloß dass man das Geld dann nicht essen kann. Die Kritik am Markt bezieht sich nicht auf seine Kälte, sondern just auf diese Unfähigkeit, sinnvolle Güter (die man nicht durch Werbung den Menschen aufdrängen muss) hervorzubringen und diese wirklich gerecht zu verteilen. WOLFGANG NEEF, Berlin