BERLIN VON KENNERN FÜR KENNER
: Wein und Tupperware

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Im Weinbrunnen am Rüdesheimer Platz stellen Menschen ihre Vorstellung von Essen aus

Es gibt in Süddeutschland den schönen Brauch der Selbstverpflegung. In den Biergarten nämlich darf jeder sein eigenes Essen bringen. In Berlin darf man sich im Biergarten höchstens in eine lange Schlange stellen und warten. Erst auf das Essen und dann darauf, an der Kasse an der Reihe zu sein. Am Weinbrunnen am Rüdesheimer Platz herrschen andere Verhältnisse: Man wird man nicht rausgeworfen, wenn man seinen Picknick-Korb auspackt. An diesem lauschigen Plätzchen wird seit über 40 Jahren im Sommer Wein aus Süddeutschland ausgeschenkt, da soll es dann auch im Brauch etwas weniger preußisch zugehen. Und das, obwohl der Platz mit seiner gepflasterten Fläche, den akkurat gepflanzten Stiefmütterchen-Beeten und dem riesigen Springbrunnen, auf dem Siegfried nackt sein Pferd lenkt, leicht martialisch wirkt.

Im Weinbrunnen selbst herrscht eine entspannte, nachbarschaftliche Stimmung. Weder ist die Ausstattung des Gartens – dunkle Plastikstühle, bunte Lichterketten, als Ausschank ein Holzhäuschen – besonders fein noch das Publikum schick, was dieses Lokal nur sympathisch macht. Die Gäste sind zum größten Teil Verpflegungsprofis, auf ihren Tischen liegen Tischdecken, Geschirr, jede Menge Tupperware und sehr viele verschiedene Arten der Speisen. Das ist hübsch anzusehen: Eine Geburtstagsrunde hat Cocktailschirmchen auf Bouletten gesteckt, eine andere Gruppe hat eine Wassermelone kunstvoll aufgeschnitten. Vor allem aber ist es aufschlussreich, schließlich tragen die Menschen hier ihre private Idealvorstellung vom Essen in die Öffentlichkeit.

So kann man beispielsweise sehen, dass viele Mitglieder der Kartoffel-und Nudelsalatfraktion Wert auf eine gute Ausrüstung legen. Auch diejenigen, die beim Italiener schräg gegenüber eine Vorspeisenplatte gekauft haben, gehören eher zu denen, die auch noch an das Servierbesteck denken. Die Sushi-Esser sind minimalistisch wie ihre Speise, bei ihnen tut es auch der nackte Tisch.

Wie unterschiedlich auch die Esssitten sein mögen, im Wein sind sie alle vereint. Der wird in Rotation jeweils von einem Winzer aus dem Rheingau geliefert. Bis zum 18. Juni kam er vom Weingut Ferdinand Abel, seither kommt er von Adam Basting. Der Wein aus dem Weingut Abel wird deutschen Wein sicher nicht berühmt machen, den Ruf auf irgendeine Weise schädigen aber noch weniger. Ein Abend lässt sich mit dem Mittelheimer St. Nikolaus Riesling Kabinett schon verbringen – sofern man an den Weinkühler denkt.

RHEINGAUER WEINBRUNNEN, Rüdesheimer Platz 6, 14197 Berlin, bis zum 14. September tägl.15–22.30 Uhr, U-Bahn Rüdesheimer Platz, Rotwein ab 3 €, Weißwein ab 2 €, kleines Wasser 1,50 €, Glas- und Flaschenpfand 1 €