Das Meer der Worte, nichts als eine Wüste

Das Internationale Maritime Museum in Hamburg ist eröffnet. Sammler Peter Tamm, Bundespräsident Horst Köhler und Bürgermeister Ole von Beust lassen sich zu vollmundigen Worten hinreißen: Sie feierten die Seefahrt als Wiege der Demokratie

Das „Marinemusikkorps Nordsee“ unter der Leitung von Fregattenkapitän Lutz Bammler spielt einen letzten Tusch. Dann herrscht Ruhe im Festzelt, gespannte Aufmerksamkeit der Gäste. So wie im Zirkus, wo die Kinder die Luft anhalten, bevor der Mann hereinmarschiert, von dem es hieß, er binde Eisenstangen zu Schlaufen wie Schnüre. Jetzt die Stimme übers Mikrofon: „Meine Damen und Herren – der Bundespräsident.“ Applaus donnert durchs Zelt, Blitze zucken und Horst Köhler lächelt. Souverän schreitet er durchs Gewitter, steuert auf seinen Platz zu, setzt sich. Und damit tritt ein rüstiger, älterer Mann aus des Bundespräsidenten Schatten: Peter Tamm.

„Heute ist einer der größten Tage meines Lebens“, sagt der frühere Springer-Vorstandsvorsitende am Rednerpult. „Das Internationale Maritime Museum“ – seine Stimme leiert etwas bei der Länge – sei die Summe seines Schaffens, sein Erbe an die Nachwelt. Es diene der Wahrheit, der Freiheit, der Völkerverständigung und was nicht alles mehr, orakelt Tamm. „Erst mit der Schifffahrt begann die Weltgeschichte“, erklärt er nun – den Blick nach unten gerichtet, auf ein Redemanuskript, die Tiefen der Geschichte oder Untiefen der Weisheit – „und hier soll diese Geschichte in Geschichten erzählbar werden.“ „Frei von Zeitgeist“ und „dem Objektiven“ verpflichtet, versteht sich.

„Was verbirgt sich denn unter der Meeresoberfläche“, fragt er sich und ist schwups, wendig wie ein Fisch, bei der „selbstgerechten Ahnungslosigkeit“ seiner Kritiker angekommen. Meinungsvielfalt sei natürlich gut. „Wenn aber die demonstrierenden Kinder des Wohlstands mir erklären wollen, was Krieg ist, dann ist das so, als wollte ein Blinder den Sehenden die Welt zeigen.“ Das sagt er mit einer Stimme wie aus Grabes- oder Leichenkellertiefen.

Tamm tritt ab, es folgt Köhler: hält seine Rede im Kielwasser von Tamm, tritt seinerseits ab und lässt den Ersten Bürgermeister Ole von Beust ans Pult – der seine Worte wiederum im Kielwasser von Köhler wählt. So entsteht ein schöner, breiter Strom immer gleicher Worte, von denen sich die Gäste gerne tragen und manchmal auch auf ein Atoll spülen lassen: Demokratie, Wahrhaftigkeit, Bürgersinn und Objektivität ragen so heraus. Und großartig, wie sich diese mächtigen, aber meist so leeren Worte mit Sinn, mit Leben, mit Tamm-Tamm füllen. Was umso bewundernswerter ist, da man als Gast so weit von Wahrheit und Objektivität entfernt ist, dass man noch nicht einmal zu erkennen vermag, ob die Blumen auf den Tischen echt oder aus Plastik sind.

Aber nicht nur Worte werden heute gemacht: Als nächstes schreitet man zur Tat: Tamm, Köhler, von Beust stehen vereint vor dem Museum und den Kameras, mit einem Band, das durch ihre Hände läuft. Gleich werden sie es zertrennen, aber für einen Moment, wie sie da im Wind stehen, erinnert das Trio ein wenig an die drei Demonstranten von vorhin. Die hatten die selben stolzen Mienen zur Schau gestellt, dasselbe stolze Gebaren aus dem Wissen, herausgehoben zu sein aus der Masse. Auf ihrem im Wind flatternden Plakat war zu lesen, man solle Nazi-Devotionalien doch lieber verschrotten, statt sie auszustellen.

Jetzt aber: Die Drei reißen das Band entzwei, das Museum ist eingeweiht, der Öffentlichkeit übergeben, offen, für alle. Das heißt, nein: offen für Tamm, Köhler und von Beust, hinter denen sich die Tür erst mal wieder schließt. Die Gäste müssen noch ein halbes Stündchen bei Austern und Crème Brulée warten – bis die hohen Herrschaften die Seefahrtsgeschichte, die Menschheitsgeschichte, wie Tamm sagt, die Männergeschichte, wie man ausnahmsweise untrüglich weiß, ungestört gewürdigt haben werden. MAXIMILIAN PROBST