In ständiger Alarmbereitschaft

Berühre den Bildschirm, und in der schönen Landschaft stehen Soldaten. Shilpa Gupta, Künstlerin aus Mumbai, reflektiert in ihren Arbeiten, wie sich die Globalisierung auf Indien auswirkt. Bodhi Berlin und die Galerie Volker Diehl zeigen ihr Werk

VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Undefinierbar ist die Geräuschkulisse, von der die aktuelle Ausstellung bei Bhodi Berlin dominiert wird. Es ist die Kakofonie von Mumbais Straßen, die Shilpa Gupta mithilfe von Soundchips in eine Reihe von Fotografien integriert hat, die Männer in Uniform beim Wacheschieben zeigen. Aufgenommen wurden all jene Wachleute, an denen ihr täglicher Weg zwischen Wohnung und Studio vorbeiführt. Im Umkehrschluss spioniert sie mit ihrer Kamera aus, wen die Hausverwaltungen im Sinne der allgemeinen Sicherheit angeheuert haben. Zu sehen sind aber nur Männer mit verschwommenen Gesichtern: Sie bricht ihren Blick und anonymisiert sie zugleich.

Darauf, dass heute potenziell alle und alles verdächtig erscheinen können, spielt auch ihr Werkzyklus „There is no explosive in this – I und II“ (2008/2007) an. In einer großformatigen Fotoarbeit sind beschlagnahmte Objekte von einem indischen Flughafen versammelt. Neben Messern, deren potenzielle Gefahr einleuchtet, kommen alltägliche Gegenstände zum Vorschein, wie Shampooflaschen, Cremedosen oder Arzneimittel, die in Zeiten des globalen Terrorismus plötzlich mit Angst belegt und für die Teilnahme am internationalen Luftverkehr als zu gefährlich eingestuft werden. In der Galerie Volker Diehl, die gemeinsam mit Bhodi Berlin die erste Einzelausstellung der indischen Künstlerin in Deutschland zeigt, wird der zweite Teil dieses Zyklus präsentiert. Zu sehen sind Dokumentationen einer in London durchgeführten partizipativen Performance, bei der gewöhnliche Menschen im Stadtraum mit weiß umhüllten Koffern oder Tragetaschen herumlaufen, auf denen „There is no explosive in this“ zu lesen ist.

In solchen Arbeiten scheint unweigerlich eine international anerkannte Künstlerin zu uns zu sprechen, deren Leben vom globalen Flugverkehr auf dem Weg von einer zur nächsten Show geprägt ist. Tatsächlich hat Gupta, die 1976 in Mumbai (damals noch Bombay) geboren wurde, bereits an einer Vielzahl von internationalen Ausstellungen und Biennalen teilgenommen, auf die Frage allerdings, ob sie sich als globale Künstlerin verstehe, möchte sie weder mit Ja noch mit Nein antworten. Wenn, dann würde sie ihre Kunst als glokal beschreiben, denn schließlich gehe es in den meisten ihrer Arbeiten darum, den Einfluss der Globalisierung auf Indien zu analysieren.

Dabei sind es im Wesentlichen zwei gesellschaftspolitische Ereignisse, die sie für ihre künstlerische Praxis als prägend ansieht. „Im meinem ersten Jahr an der Sir J. J. School of Fine Arts blieben auf einmal Freunde von mir vom Unterricht fern und erschienen nie wieder.“ Was sie hier persönlich zu spüren bekam, war Ausdruck einer ersten antimuslimischen Gewaltwelle, die 1992 mit der Zerstörung der Babri-Moschee einherging. „Damals waren die Menschen von den Ereignissen erschüttert, die Ermordungen muslimischer Inder bei den Unruhen 2002 in Gujarat wurden dagegen einfach hingenommen.“ Es beschäftigt sie, das Indien heute zwar verstärkt globalisiert wird, Religionszugehörigkeiten in dem offiziell säkularisierten Staat aber eine zunehmend problematischere Rolle spielen.

Einen nicht weniger gravierenden Konflikt zeigt eine interaktive Touchscreenarbeit. Vom Auto aus aufgenommen zieht die schöne Landschaft zwischen Srinagar und Gulmurgh vorüber, sobald man allerdings den Bildschirm berührt, entpuppt sie ihr wahres Gesicht: Die konfliktträchtige Grenzregion Kaschmir ist von der Anwesenheit des Militärs geprägt. Seitdem Gupta 2004 eine Freundin in Kaschmir besucht hatte, ließen sie die Erfahrungen einer ständigen Alarmbereitschaft nicht mehr los. Selbst als sie bereits zurück in Mumbai war, meinte sie immer noch, die Geräusche von Detonationen zu hören.

In einer anderen Arbeit geling es ihr, Ausdrucksmittel für die unwahrscheinlich schwierige Lage vieler Frauen in Kaschmir zu finden, die ohne Gewissheit über den Verbleib ihrer Ehemänner – sie könnten tot oder lebendig sein – in einem permanenten Schwebezustand verharren. „Half Widows“ (2006) hinterlässt das einprägsame Bild einer Frau, es ist die Künstlerin selbst, die in ein Totenhemd gehüllt mit wehender weißer Flagge marschiert.

Die tatsächliche Komplexität der ursprünglich mehrteiligen Installation ist in der Berliner Dokumentation allerdings nicht auszumachen. Dass diese Arbeit, die Gupta in Frankreich mithilfe institutioneller Unterstützung entwickelte, dieses Jahr in einem renommierten Museum in Mumbai gezeigt wird, ist ihr natürlich wichtig. Ihre Werke nehmen oft den Umweg über eine ausländische Förderung, was daran liegt, dass die Produktionsmöglichkeiten im eigenen Land relativ begrenzt sind.

Mit „I have many dreams“ (2008) stellt Gupta in Bild und Ton junge indische Mädchen vor, die sich auf Miss-World-Partys treffen und dabei Starallüren an den Tag legen. Das ist für die Künstlerin auch ein Alltagsphänomen, das genauso wenig frei von politischen Implikationen ist wie das Beispiel Kaschmir. Möchten wir programmiert werden, oder gibt es tatsächlich jemand, der uns programmiert, ohne dass wir dagegen etwas unternehmen können? So könnte die Frage lauten, vor deren Hintergrund sich der paradoxe Titel der Ausstellung „BlindStars StarsBlind“ enträtseln lässt.

„BlindStars StarsBlind“: bis 2. August bei Bodhi Berlin, Halle am Wasser, Invalidenstr. 50–51, und i. d. Galerie Volker Diehl, Lindenstr. 35, Di–Sa 11–18 h