Schwarz-rot-weiß-rot-gold-weiß

Beim Fanfest auf dem Heiligengeistfeld wurden etwaige Spannungen zwischen deutschen und türkischen Fans weggetanzt. Außerdem half Multikulti unter den Fans. Und das Ergebnis

VON KLAUS IRLER

Sie waren zu viert, und sie waren schon heiser, bevor das Spiel angepfiffen wurde. „Die türkischen Fans bitte: EIN HEY!“ – „Die deutschen Fans: EIN HO!“ schreien sie von der Bühne hinunter, und unten auf dem Heiligengeistfeld reagieren die Menschen verhalten. „HEY“, „HO“, es ist alles ein bisschen viel zu diesem Zeitpunkt. Da sind ja nicht nur die vier Anheizer auf der Bühne, von denen man nicht weiß, auf welchen man sich konzentrieren soll. Da sind vor allem die vielen Menschen außenrum. 42.000, sagen die Veranstalter.

Die BesucherInnen des Fanfestes sind alle in Fanmontur erschienen, aber im Gegensatz zu anderen EM-Spielen sind Fanmontur und ethnische Zugehörigkeit der Fans nicht mehr so leicht übereinander zu bringen. Es gibt Leute, die sehen sehr deutsch aus, kommen aber in den türkischen Farben rot-weiß. Andere sehen aus wie Türken und tragen schwarz-rot-gold. Dann gibt es Menschen mit dunkler Hautfarbe, die zu den deutschen Fans gehören und Menschen mit dunkler Hautfarbe, die türkische Fahnen schwenken. Die arabischen und asiatischen Fans dagegen scheinen mehrheitlich für Deutschland zu sein. Und unter allen Anwesenden erstaunt der hohe Anteil an jungen Frauen: Für die jungen Männer auf dem Feld sind die jungen Frauen ein Grund mehr, warum sie nicht ganz so aufmerksam sind, wenn der Anheizer ein HEY hören will, inmitten des schwarz-rot-weiß-gold-rot.

Die Moderatoren haben einen klaren Auftrag, und der heißt: Party für alle. Was einfacher klingt, als es ist, schließlich treffen hier rund 30.000 Fans der deutschen Mannschaft auf rund 12.000 Fans der türkischen Mannschaft, und am Ende wird es einen Sieger und einen Verlierer geben und viel Frust und wahrscheinlich auch Häme. Die Party ist dazu da, das Gewinnen und das Verlieren wegzulachen. Aus den Boxen dröhnt „Celebrate good times, come on!“, und die Moderatoren schneiden einen deutsch-türkischen Freundschaftskuchen an und tauschen ihre Trikots: Der NDR hat zwei türkischstämmige und zwei deutsche Moderatoren engagiert. Einmal läuft auch türkische Popmusik, was aber unter Party-Gesichtspunkten schwierig ist, weil zu viele Fans den Song nicht mitsingen können.

Die Moderatoren machen alles richtig, die allermeisten Menschen vergessen die Wettbewerbssituation beim Tanzen, und hilfreich mag sein, dass es so multikulturell zugeht unter den Fans. Ein paar Fans beider Lager verbrüdern sich offensiv vor den Kameras der Fotografen. Ein paar Fans schreien sich ebenso offensiv an, „DEUTSCHLAND“ gegen „TÜRKIJE“, es geht darum, wer lauter schreien kann. Später gibt es wenige kleinere Rangeleien, insgesamt gibt es in dieser Nacht zehn vorläufige Festnahmen, und 55 Fans werden in Gewahrsam genommen. Die Sanitäter müssen zwar rund 500 Mal erste Hilfe leisten, aber es geht immer nur um Kleinigkeiten wie Kreislaufprobleme oder Schrammen. „Friedlich und fröhlich“ lautet das Fazit der Polizei, ein Fazit, das auch in anderen norddeutschen Städten gezogen wurde. Und ein Fazit, für das wohl auch der Spielverlauf eine große Rolle spielte.

„Ich glaube nicht, dass es so friedlich gewesen wäre, wenn Deutschland verloren hätte“, sagt Fanforscher Gunter A. Pilz von der Universität Hannover. Auf dem dortigen Fanfest bei der AWD-Arena gab es ein Pfeifkonzert inklusive Stinkefinger, als die türkische Nationalhymne erklang. „Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir unsere Mitmenschen damit anfreunden können, dass wir ein Einwanderungsland sind“, sagt Pilz. Nicht mangelnde Integration der Türken sei das Problem, sondern die Frage, wie die Deutschen mit den Türken umgingen.

Was sich später in Hamburg noch bestätigte: Nahe der Reeperbahn gab es kurz nach Abpfiff eine Auseinandersetzung, nachdem deutsche Fans ein türkisches Auto attackiert hatten. Die Polizei fuhr Wasserwerfer auf und setzte Schlagstöcke ein. Danach beruhigte sich die Lage schnell. Nebenan am Heiligengeistfeld war davon nichts zu merken: Dort wurde gefeiert. Anwesend waren allerdings nur noch die deutschen Fans.