urdrüs wahre kolumne
: „Über unsern Fußballfeldern“

Serienweise sehe ich mich in diesen Tagen gezwungen, mit der Aufkündigung alter Freundschaften zumindest zu drohen: Ob alte DKP-Genossen, Anarchos, KBW-lerinnen, Spontis, Hippies oder Ökopaxe – sie alle rollen, radeln oder laufen derzeit mit DER FAHNE durch die Gegend. Und die, nur zu höchstens einem Drittel rot, ist eben nicht die Arbeiterfahne. „Haltet inne“, möchte man diesen Quartals-Vaterländlern zurufen und alternativ auf das Banner des Regenbogens oder das schwarze Band der libertären Sympathie verweisen. Und? Erhören Sie diese Mahnung? Als jetzt noch der lokale Antifa-Häuptling durch die Straße schritt mit einem schwarzrotgelben Stigma auf der Wange, fühlte ich mich plötzlich so allein, dass ich nur noch laut schreien konnte: „Spaniens Himmel breite seine Sterne / über unsern Fußballfeldern aus!“

In der Eurobahn zwischen Hameln und Hildesheim: Drei junge Mädchen singen allen Ernstes und das zu höchst differenzierter Gitarrenbegleitung „We shall overcome“. Irgendwann kann ich vor Rührung nicht mehr an mich halten und singe lauthals mit, worauf noch einige weitere Vertreter der Generation 50 plus einfallen. Die Mädchen nehmen das gelassen hin, meinen aber dann nachdenklich: „Wir wussten gar nicht, dass es das zu Ihrer Zeit schon gab.“ Zu unserer Zeit? Und wie! Manchmal vergisst man schon, dass sie uns gehört.

Dass der Bremer Dompastor Christian Gotzen eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Präsenzdienstes am Dom suspendiert hat, finde ich an sich schon zum Kotzen. Dass dieser irrelaufende Hirte das aber tat, um Gisela Kalb dafür zu bestrafen, dass sie in einem Leserbrief in der taz Stellung bezog zu den unwürdigen Machtspielen des Domvorstands, gegen den erklärten Willen der meisten Chormitglieder seine Position bei der Nachfolgeregelung für Kantor Wolfgang Hilbich durchzusetzen – das ist nun so recht dazu geeignet, das Werk der Gemeindezerstörung fortzusetzen. Doch ist leider weit und breit kein Paulus in Sicht, der diesem selbstgefälligen Machtzentrum mal einen gefälligen Brief schreiben könnte.

Diese Woche hörten wir, dass der bekannte Kampfhundehalter Heinz Rudolf Kunze sich „neu erfinden will“ und samt Sippe und Freundeskreis derzeit als Poesie-Kapitän über die Meere schippert – „auf dem Weg zu neuen Ufern“, wie seine hannöversche Heimatzeitung schlagzeilt. Hoffentlich gibt es an diesen Gestaden nur Dackel und die absonderlichen Schiwawas, also diese quiekenden Meerschwein-Hunde, von denen man gemeinhin nur weiß, wie sie gesprochen, aber nicht wie sie geschrieben werden. Dann wollen wir ihm auch das neue Album verzeihen, das der gelernte Studienrat jetzt schon so anpreist: „Von Bachkantate bis Rammstein, thematisch von Amoklauf bis Liebesschwur“, kurz: so richtig was für den Zweitausendeins-Versand. „Mir kommen überall Ideen, die ich sofort notiere – es gibt sogar Texte, die auf Klopapier geschrieben sind“, warnt der Rock-Skipper vor: „Das war, als hätte Hiob aus dem Alten Testament sie mir direkt in die Feder diktiert.“ So was aber hätte Hiob nie, nie gemacht, vermutet ahnungsvoll

ULRICH „Amos“ REINEKING

ULRICH REINEKING, Journalist und Kabarettist, ist nicht bekannt dafür, früheren Kampfgenossen keinen Spaß zu gönnen.