Richard Wagner soll es richten

Wenn das Theater den Wandel einer Investitionsruine fördert: Bevor der Bremer Space Park zum maritimen Einkaufstempel „Waterfront“ wird, geistert dort sechs Abende lang „Der fliegende Holländer“ umher. Und bringt den Bremern das Areal wieder nahe

Der größenwahnsinnige Klangrausch, die rohe Wucht der Effekte und das dramatische Versinken im Sehnsüchtigen vergehen leise im sanften Wind, führen entspannt durch Wirbelstürme und unwirtliche Seelenlandschaften. Nachdem Generalintendant Hans-Joachim Frey das Theater Bremen auch zum bürgerlichen Repräsentationstheater für die Wirtschaftselite aufgehübscht und mit Unterhaltungskost auch für das der Theatermoderne abholde Publikum wieder interessant gemacht hat, führt er beide Zuschauergruppen nun im Bremer Hafen zusammen: Hier, auf einem Ponton, schaukeln die Philharmoniker auf der Weser und erkunden Richard Wagners „Der fliegende Holländer“. Dieses Untoten Erlösungstraum lässt Frey gleich neben der erlösungswilligen Investitionsruine Space Park erzählen: Die durfte ja auch nicht vollends sterben.

Wagner also, als anspielungsreicher Anlass eines Zuschauermassen lockenden Events. Einer uninspiriert effektvollen Opernrevue. Freilichtluftwasserspiele – da ist immer und für jeden was los: Zwei Segelschiffe parken mal rechts, mal links neben der schwimmenden Bühne, ein Feuerwehrboot zeigt, wie weit es Fontänen spritzen kann, in Shantychor-Kostümen erscheint der Männerchor, mit blauer Zeltplane wird wogendes Meer dargestellt. Weitere Sinnenreize: sopranierte Liebeswallungen im Rotlicht, ehrliche Bratwurst vom Grill, Champagner und schlichter Cabernet, Tortellini in Sahne-Sauce, Stelzenläufer im Nebel, Feuerwerk und sogar echter Sonnenuntergang. Was will man mehr? 16.000 Zuschauer bringen für sechs Abende einen verrufenen, bundesweit zum Symbol verfehlter Bremer Wirtschaftspolitik gewordenen Ort zurück ins Leben. Intendant Frey nennt das Ganze „Bregenz des Nordens“ – wobei David Pountney 1989 auf der Bodenseebühne den „Holländer“ derart überwältigend opulent inszenierte, dass sich dagegen nur jämmerlich verlieren lässt. Aber ist wenigstens der Bann über dem Aufführungsort gelöst?

Eine zugepflasterte und geteerte Brache, darin ein Klecks mit den Umrissen eines gelandeten Ufos: So sieht das etwa 26 Hektar große Areal heute von oben aus, an dem bis 1983 das Herz der Stadt im metallischem Rhythmus schlug. Auf dem ehemaligen Großwerftgelände der AG Weser wurde eine spektakuläre Großskulptur in verspielter Science-Fiction-Hässlichkeit errichtet. Zum ersten Spatenstich verkündete am 30. Juni 2000 der damalige Senator für Wirtschaft und Häfen, mit dem Space Park werde „zusätzliche Kaufkraft nach Bremen“ geholt und die Hansestadt „eine bedeutende Position im Tourismus“ einnehmen. Es kam anders: Deutschlands erster Indoor-Freizeitpark zum Thema Raumfahrt war mangels Besuchern nach sieben Monaten insolvent, das Shoppingcenter wurde gar nicht erst eröffnet. Die Investoren hatten etwa 500 Millionen Euro, Bremen über 150 Millionen in den Hafensand gesetzt.

Den Haushaltsnotstandsland-Bewohnern war die Immobilie, die den Strukturwandel dokumentieren sollte, zunehmend peinlich. Nur ungern ging man dort spazieren, gemeindete das Gelände einfach aus. Die Verlassenheit ließen den Ort zur Metapher für Heimat- und Beziehungslosigkeit werden, genutzt als Kulisse für Filme und so genannte Megapartys – und jetzt den einsam herumirrenden „Holländer“.

Der findet immerhin seine Senta, eine altjüngferliche Kapitänstochter, die sich in einer Art pubertärer Ausbruchsfantasie aufopfert, und für ihn stirbt. Ein heute nicht mehr so beliebtes weibliches Rollenmuster, weswegen das Werk auch als „Romantische Oper“ firmiert und Senta zeitgemäß gern als Opfer einer Art Heuschreckenkapitalismus inszeniert wird. Kauft der vorübersegelnde Holländer sie doch einfach auf. Auch die Space Park-Geschichte spielt ja in der bösen, globalisierten Warenwelt. Als Senta boten sich dann gewissermaßen allerlei Fonds-Gesellschaften an, bis die irische LNC Property Group das Unding zum gerüchteweisen Schnäppchenpreis erwarb. Der Raumfahrt-Tüdel wird derzeit entsorgt, um im September einen maritimen Shopping-Park eröffnen zu können. Der Name, der das Pleite-Image vertreiben soll: Waterfront. Wasser – das ist Sentas Element, Mutter- und Fruchtbarkeitssymbol. Erlösung durch Neugeburt? Die Stimmung bei der „Holländer“-Premiere war schon mal bestens. Der Rest ist vorerst Verklärung – wie bei Wagner. JENS FISCHER

weitere Termine: 30. Juni sowie 1., 3. + 5. Juli