Lukas und die Krabbelgruppe

Überall werden derzeit neue Krippenplätze geschaffen – nur nicht für behinderte Kinder. Wie sich eine Mutter aus Hannover mit ihrer Initiative für eine integrative Betreuung einsetzt – und noch lange nicht am Ziel ist

In Hannover fehlen etwa 1.000 Hortplätze für Grundschulkinder. Das hat eine Auswertung der Wartelisten ergeben. Die hohe Zahl sei „doch etwas überraschend“, sagt Stefan Rauhaus, stellvertretender Bereichsleiter für Jugend und Familie. In anderen Städten Niedersachsens sieht es nicht viel besser aus. Braunschweig geht davon aus, dass „die Nachfrage das Angebot an Betreuungsplätzen um rund 200“ übersteigt. DPA

VON KAI SCHÖNEBERG

Lukas war neun Monate alt, als herauskam, dass er wegen eines pränatalen Schlaganfalls in seiner Entwicklung hinter anderen Babys zurückgeblieben war. Er ist halbseitig gelähmt und hat epileptische Anfälle. „Er hat gekrampft, gegessen, geschlafen“, sagt seine Mutter Elke Lengert. Als sie das Trauma überwunden hatte, ein behindertes Kind zur Welt gebracht zu haben, kam der nächste Schock: Lengert fand keinen Krippenplatz für ihren Sohn. „Das geht nicht“, beschieden ihr Gesundheits-, Jugend-, und Sozialämter. Es folgte eine sechsmonatige Odyssee durch die Behörden. Nur mit viel Beharrungsvermögen – und Drohungen – brachte sie Lukas unter. In ganz Niedersachsen war er das zweite Kind in einer integrativen Krabbelgruppe.

Das reicht der 31-jährigen Förderschullehrerin aus Hannover nicht. Lengert hat den Verein „Miteinander“ mit inzwischen 50 Mitgliedern gegründet. Und sie hat ein großes Ziel: Sie will, dass die Betreuung der behinderten Kleinen bis drei Jahre mit der für die drei- bis sechsjährigen Kindergartenkinder gleichgestellt wird. Während in Niedersachsen seit den 90er Jahren behinderte Kinder von drei bis sechs Jahre einen gesetzlich verbrieften Anspruch auf einen integrativen Kindergartenplatz haben, gilt dies nicht für die Hort- und Krabbelknirpse bis drei Jahre. Dabei steht es eigentlich so im Sozialgesetzbuch: Behinderte und nichtbehinderte Kinder sollen möglichst gemeinsam erzogen werden. „Überall werden Krippenplätze geschaffen“, sagt die streitbare Mutter, „nur nicht für behinderte Kinder“.

Lengert hat es weit gebracht: Nach viel Zerren gibt es bald fünf integrative Krabbelgruppenplätze im Land. Es müssten viel mehr sein. In dieser Woche wird das Thema sogar im Landtag behandelt. „Leider ist es sofort in die Ausschüsse verwiesen worden“, sagt die Grüne Fraktionsvizin Ursula Helmhold. Die Landesregierung verschleppe neue Regelungen. „Sie haben etwas gegen integrative Betreuung“, sagt Helmhold und sieht „ideologische Vorbehalte“ bei CDU und FDP. Um etwas Zeit bitten indes die zuständigen Ministerien für Kultur und Gesundheit: Noch seien die „Abstimmungen mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Leistungsanbietern“ nicht abgeschlossen.

Es geht auch ums Geld: Ein „I-Kind“, so heißen die behinderten integrierten Kinder, kostet das Land rund 1.000 Euro zusätzliche Betreuungskosten pro Monat. Bislang verweisen die Behörden darauf, dass den Allerkleinsten ja schon vier Stunden pro Woche Frühförderung zustünden, ein höherer Förderbedarf muss beim Amt umständlich nachgewiesen werden.

Lengert hält das für viel zu bürokratisch und pocht auf Gleichbehandlung mit den Kindergartenkindern. In Hannover gibt es sogar eine Elterninitiative, die 22.000 Euro aus Eigenmitteln aufbrachte, um die Räume der Krabbelgruppe „die Kurzen“ für „I-Kinder“ umzubauen – und jetzt am Behördenstarrsinn zu scheitern droht.

Bei Lukas hat Elke Lengert gesehen, wie gut ihm der Kontakt mit „normalen“ Kindern tut: „Er dreht auf, wenn er mit den anderen zusammen kommt.“ Aber auch sie profitiert, wenn Lukas in guten Händen ist: „Vom ersten Tag an habe ich wieder ein Stück Normalität zurückgewonnen.“