Plaudern gegen die Teilung

Erika Maier lässt 12 Ost- und Westdeutsche ihre beeindruckenden Biografien erzählen

Es war Richard von Weizsäcker, der zu Zeiten der Wiedervereinigung vor bald 20 Jahren seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern empfahl: „Die Deutschen sollen sich gegenseitig ihre Geschichten erzählen.“ Miteinander statt übereinander sollten „Besserwessis“ und „Jammerossis“ reden. Dass diese Worte bereits so angestaubt wirken, zeigt, wie lange das Ganze her ist. Und vielleicht auch, dass es im Annäherungsprozess zwischen Ost und West wohl doch Fortschritte gab.

Dennoch, dieses Miteinanderreden und erst recht das wirkliche Zuhören und Verstehen fällt den älteren Deutschen östlich und westlich der Elbe meist immer noch schwer – zu fest sitzen die Vorurteile, die in über 40 Jahren der staatlichen Trennung gewachsen sind. Dies ist der Ausgangspunkt für das Buch „Einfach leben“ der früheren DDR-„Ökonomin“ Erika Maier, das auf fast radikale Weise verwirklicht, was von Weizsäcker damals empfohlen hat. In zwölf Doppelbiografien erzählen jeweils eine Ostdeutsche und eine Westdeutsche als Ich-Erzähler und meist im Plauderton auf wenigen Seiten ihre Geschichte. Dass die Paare gut zueinander passen, liegt daran, dass Maier einzelne Berufsgruppen gegenübergestellt hat: Zunächst erzählt die Ärztin aus Thüringen ihr Leben, dann ihre Kollegin aus Frankfurt. Ebenso läuft es bei zwei Architektinnen, zwei Kfz-Meistern, zwei Bürgermeistern, Bäuerinnen, Pastoren und so weiter. Maier hat sich keine bekannten Persönlichkeiten ausgesucht, normale Menschen aus Ost und West sollten es sein.

Das Ganze hat etwas von einer Versuchsanordnung, die erstaunlicherweise über lange Strecken auch funktioniert. Wer weiß schon, wie das Leben eines Offiziers der Nationalen Volksarmee (NVA) so ablief, eines offenbar ziemlich zackigen Obersten, der freimütig bekennt: „Für mich als Offizier der NVA war klar, dass von den Truppen des Warschauer Vertrages kein Angriff ausgehen wird.“ Auch die Geschichten von Lebensläufen, deren Umstände man besser zu kennen glaubt, sind oft anregend, ja anrührend – so etwa, wenn ein Pfarrer aus Bad Salzuflen, der als Missionar in Äthiopien war, erzählt: „Es gibt Dinge, die sind irrational, so wie die Liebe, die nicht verstehbar ist, wenn sie sich ereignet. Aber niemand wird sagen, dass es die Liebe nicht gibt. So ist es auch mit dem Glauben.“

Maier hat sich entschieden, die Selbstberichte nicht zu korrigieren – auch wenn einer sagt, dass in der DDR die Wände mit Zeitungen tapeziert worden seien, weil es keine Tapeten gegeben habe. Manchmal möchte man das Buch am liebsten zuschlagen, so peinlich und naiv sind einige Aussagen. Eine Ostberliner Journalistin berichtet etwa: „An mich ist man nicht ein einziges Mal herangetreten, dass ich in die Partei eintreten soll. Ich schaffte es bis zur beliebtesten Ansagerin, ohne dass ich in der Partei war oder mit einem von der Leitung geschlafen habe.“

Etwas zu einfach macht es sich Maier in ihrem Resümee, das sie am Ende des kurzen Vorwortes dem Buch voranstellt: „Da gab es Chancen und Grenzen – HÜBEN WIE DRÜBEN. Der eine konnte die Chancen nutzen und seine individuellen Lebensentwürfe verwirklichen. Der andere ist an Grenzen gestoßen und hat unter ihnen gelitten. Auch das – HÜBEN WIE DRÜBEN.“ Sind die Grenzen einer eingemauerten Diktatur im Osten wirklich den Hindernissen einer Klassen- und Wettbewerbsgesellschaft im Westen so ähnlich?

Dennoch: Maiers Buch ist ein Gewinn für alle, die sich mit deutsch-deutschem Befinden befassen wollen. Es ist ein kleines, stilles Buch und liefert zudem eine gute Vorbereitung auf das, was über uns alle im nächsten Jahr multimedial hereinbrechen wird. PHILIPP GESSLER

Erika Maier: „Einfach leben – hüben wie drüben. Zwölf Doppelbiographien“. Karl Dietz Verlag, Berlin 2008, 224 Seiten, 12,90 Euro