Bremen ist nicht München

Jugendschöffengericht verurteilt Jugendlichen Schläger wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren auf Bewährung – und rügt Vorverurteilungen durch Medien. Das Urteil wurde nicht öffentlich verkündet, weil Nazis Angeklagte bedrohten

von BENNO SCHIRRMEISTER

Roland H. ist 30 Jahre alt und hat kein Kurzzeitgedächtnis mehr. Sein Examen an der Uni Bremen hat er nun doch nicht machen können. Er lebt wieder bei seinen Eltern. Und was er einmal gelernt hat, im Studium und in der Schule, ist seit dem 10. August 2007 ausgelöscht. Durch einen Tritt von Bardia S. Am Dienstag verurteilte das Bremer Jugendschöffengericht den heute 16-Jährigen wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren auf Bewährung – und ordnete eine Psychotherapie an.

Timur G., den die lokale Presse, befeuert von Suggestivmeldungen der Polizei, schon längst als den Täter ausgemacht hatte, ist nicht unschuldig. Er ist im Spätsommer in einen Juwelierladen eingebrochen, hat ein erhebliches Vorstrafenregister und war in der Tatnacht mit Janik K. und Bardi auf Tour. Aber verletzt hat er niemanden.

„Das einzige, was ich mir vorwerfen lassen muss“, hatte er Mitte Mai mit Bezug auf jene Nacht ausgesagt, „ist, dass ich dem Opfer nicht geholfen habe“. Seine Gesamtstrafe beläuft sich auf ein Jahr, drei Monate. Es spricht viel dafür, dass es Janik K.’s Vorschlag war, Roland H. anzugreifen. Der gucke so komisch, soll er gesagt haben. Janik K. muss drei Monate lang an einem Antiaggressions-Training teilnehmen.

Sie waren eine größere Gruppe gewesen. Und sie hatten gesoffen. Es war nachts um ein Uhr, eigentlich viel zu spät für 15-Jährige sollte man meinen und überhaupt: Woher hatten sie den Alkohol? In der schmalen Römerstraße im Bremer Viertel trafen sie auf Roland H. und seinen Bekannten. Die beiden kamen aus einer Kneipe und wollten nur ihre Fahrräder aufschließen. „Verpissen! Aber sofort“, will der Freund des Opfers noch gehört haben. Er rannte einfach los. Er hatte Glück.

Bardia S., hat die Tat gestanden. Damit man ihm glaubt, hat er schließlich vor Gericht sogar den Tritt aus der Drehung vorgeführt, der dafür sorgt, dass die Hacke dem Opfer im Gesicht landet und die empfindlichen Zehen nicht brechen. Vier Jahre hatte die Nebenklage gefordert – das Maximum: Eine längere Strafe hätte der Amtsrichter ohnehin nicht verhängen dürfen. Aber Bremen ist nicht München. Und das Jugendgerichtsgesetz fordert, Verfahren und Strafen „vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten“ – nicht am verständlichen Wunsch der Opfer nach Genugtuung. Und ein Gutachter hatte dem Jungen eine nicht behandelte frühkindliche neurotische Depression attestiert.

„Es ist ein gerechtes Urteil“, so Bardias Verteidigerin Christine Brenne. Ihr Mandant bedürfe einer Therapie, „die darauf abzielt, dass er nicht rückfällig wird“. Den Rachedurst der Öffentlichkeit wird das kaum dämpfen. Ebenso wenig wie die Rüge des Vorsitzenden an die Adresse der Medien und der Polizei: Es sei ein in mehrerlei Hinsicht besonderes Verfahren gewesen, schickte er dem Urteil vorweg, „wegen der Verletzungsfolgen in ganz erheblichem Ausmaß“, aber eben auch „weil es ein großes öffentliches Interesse“ und „die Vorverurteilung eines von immerhin fünf Verfolgten“ gab.

Gegen Ende des gut zwei Monate währenden Prozesses hatte der Jugendrichter sogar die Öffentlichkeit ganz aussperren müssen: In einschlägigen Internet-Foren hatten Rechtsextremisten dazu aufgerufen, „massenhaft zur Gerichtsverhandlung“ zu kommen – um „die gefährlichen türkischen Bestien in Augenschein“ zu nehmen.

Die Klarnamen der zwei türkischen Anklagten waren genannt worden, das Nummernschild eines Familienautos fotografiert. Der deutsche Angeklagte kam auf der Hetzseite nicht vor. Dafür aber ein Schöffe, dessen Name auch nicht arisch klingt. Er erhält seither anonyme Anrufe.