Der Schweiß vergangener Zeiten

„Goldener Boden“: Die Lubricat Theatre Company widmet sich der verlöschenden Erfahrungswelt des Handwerks. Herauskommt ein Stück Dokumentartheater, das ohne allzu große Diskursverliebtheit einiges Wissen erschließt

Es gibt einen Punkt, an dem das Verlangen nach Perfektion in Pedanterie umschlägt. Die Schauspielerin Kristina Brons markiert ihn auf dem Overhead-Projektor zwischen den Achsen der Zeit und des Energieaufwandes, die in ein Werkstück gesteckt werden. Der Theaterabend „Goldener Boden“ erreicht diesen Punkt ziemlich genau: Ein lockeres vor uns ausgelegtes Geflecht aus kurzen Texten über das Handwerk, das Schauspieler und Theater-Laien, die aber das Weben, Tischlern, Zimmern und das Zeichnen im Maschinenbau professionell beherrschen, zusammen erarbeitet haben.

Raimund Crüger, 62 Jahre, gelernter Werkzeugmacher und selbständiger Tischler, beginnt den Abend in einer Zimmerflucht im dritten Stock des Ballhauses Ost mit einem biblischen Text: Wie Gott Moses den Auftrag für den Bau der Stiftshütte erteilte. Crüger, der inzwischen alte Sprachen lernt, zitiert dabei aus den alten Überlieferungen, sachlich, wie aus einer Gebrauchsanweisung, und doch auch stolz über diese weit zurückreichende Spur für die Anerkennung der genauen Handwerksarbeit. Am Ende lässt er kurz eine andere Assoziation zum Handwerker aufblitzen: Das Szenario des Pornofilms, das mit der Ankunft eines Klempners vor einem mehrstöckigen Wohnhaus beginnt.

Uta Maria Mazurowicz, gelernte Weberin, spielt in einer Szene vor, wie ihr Beruf in der Jobagentur exotisiert wird. Weben, ja, das geht vielleicht im Zusammenhang mit Reha oder Wellness, aber nur weben, der Agent, arrogant und cool, kann es sich nicht vorstellen. Der Schauspieler Armin Dallapiccola, der 1989 die Schauspielformation Lubricat mitgegründet hat, steigert sich nach der Rolle des Agenten in homoerotische Handwerksfantasien, in denen der Geruch von Öl, Holz, Motoren und Pferdepisse eine ganz eigene erregende Mischung erzeugt.

Das Handwerk hat es schwer heute, aber dennoch ist „Goldener Boden“ kein Lamento, sondern eher eine punktuelle Beleuchtung unterschiedlicher kulturhistorischer Erfahrungshorizonte, die mit der Handarbeit verbunden sind. Mit ihr verliert man nicht nur Produkte und Produktionsformen, sondern auch Instrumente der Erkenntnis, der Wahrnehmung, der ästhetischen Schulung.

Die Lubricat Theatre Company, die erst vor kurzem aus den Sophiensælen in das Ballhaus Ost umzog, hat sich schon in vielen Projekten der Recherche sozialer und ökonomischer Brüche verschrieben, nicht immer aber die Ergebnisse so rund vorgestellt. Ein trockener Humor steuert die Perspektivwechsel zwischen Szenen, Erzählungen und Exkursen. Von der Nähe des Handwerks zur Obsession, zum Kontrollfreak, erzählt uns ausgerechnet die schmächtigste des kleinen Ensembles: Eine Geschichte vom Puppenhausbau, in dem die Tochter manisch jenen Ordnungswahn auslebt, mit dem ihre Mutter ihr real das Leben vermiest hat.

Die Ökonomie, mit der der Regisseur Dirk Cieslak und die Dramaturgin Annett Hardegen die Textformen zugeschnitten haben, ist zu bewundern. Viel Vorhersehbares über die Entwicklung im Zeitalter globalisierter Märkte müssen sie gar nicht ausführen: Die Mikrokosmen, durch die sie sich bewegen, lassen genug vom Makrokosmos wissen. Und es fällt in den diskursverliebten Zeiten des Dokumentartheaters heute geradezu als ungewöhnliche Tugend auf, dass sie nie in den Jargon von Soziologen und Ökonomen verfallen, obwohl sie ihren Befund aus ganz ähnlichen Material herauslesen. Vermutlich stand der Handwerkerstolz dem Jonglieren mit hochtrabenden Begriffen im Wege und sorgte für eine Sprache, die ohne ständiges Verweisen und Zitieren auskommt.

Katrin Bettina Müller

Ballhaus Ost 10. bis 27. 7., Do.–So., 21 Uhr