„Wir sind äußerst vorsichtig“

betr.: „ Eine Geißel mit Zeitzünder“, taz vom 28. 6. 08

Ihr Artikel enthält erhebliche Fehler sowie falsche Behauptungen zu unserer für den Herbst geplanten Präventions- und Gesundheitskampagne „Ich weiß was ich tu“, die vom Bundesgesundheitsministerium über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gefördert wird.

Jan Feddersen schreibt, dass eine Schweizer Studie belegen würde, dass HIV-Infektionen in einer Partnerschaft auch bei kondomlosem Sex nicht weitergegeben würden, wenn der oder die HIV-Positive mit Medikamenten versorgt wären. Eine solche Schweizer Studie gibt es nicht. Jan Feddersen bezieht sich hier auf eine veröffentlichte Information der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen (EKAF) vom 30. Januar 2008. Die EKAF hat für diese Information zahlreiche Studien z. B. aus Uganda, Brasilien, Spanien und auch der Schweiz bewertet. Es handelt sich nicht um neue Ergebnisse, sondern um eine neue Bewertung bereits bekannter Daten. Die EKAF begrenzt ihre Aussagen auf feste Paare. Der HIV-positive Partner muss laut EKAF mindestens ein halbes Jahr mit der HI-Viruslast unter der Nachweisgrenze sein, dies muss ärztlich kontrolliert werden, er muss die Therapie immer konsequent einhalten und es dürfen bei beiden Partnern keine anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen vorliegen. Die EKAF hat ihre Information nur für dieses streng definierte Setting formuliert. Für Gelegenheitspartner oder neue Partner gilt diese Information ausdrücklich nicht! In Ihrem Artikel ist von diesen strengen Kriterien nicht die Rede. Es wird im Gegenteil suggeriert, „HIV-Positive, die sich an die Medikationen halten, müssen wissenschaftlichen Studien zufolge als nicht infektiös gelten.“ Sie behaupten sogar, die Deutsche AIDS-Hilfe würde diese (falsche) Interpretation der EKAF in ihre für den Herbst 2008 geplante Kampagne „Ich weiß was ich tu“ aufnehmen.

Die taz schreibt weiter: „Das Problem dieser Studie: sie ist bei heterosexuellen Paaren erhoben worden – für Schwule soll sie nicht gelten. Warum eigentlich nicht, wenn es denn keine Ausrede ist, um die neue Aidsaufklärung zu blockieren?“ Tatsache ist: Es gibt hinreichend Grundlagenforschung zur Viruslast in der Scheide und im Sperma sowie zahlreiche epidemiologische Studien mit Heterosexuellen. Für diejenigen Heterosexuellen, die die oben genannten strengen Kriterien erfüllen, teilt die Deutsche AIDS-Hilfe die Einschätzung der EKAF und hat dies auch veröffentlicht. Allerdings gibt es keine relevante Grundlagenforschung zur Viruslast in der Flüssigkeit des Enddarms (diese Frage wäre für den Analverkehr relevant) und keine epidemiologische Studie mit schwulen Männern. Die Deutsche AIDS-Hilfe sieht hier einen dringenden Forschungsbedarf und versucht zurzeit, diese Forschungslücke schließen zu helfen. Wir „blockieren“ also nicht die Aidsaufklärung und Prävention, sondern gestalten sie in großer Verantwortung für unsere Hauptzielgruppen wie z. B. schwule und bisexuelle Männer. Und wir sind äußerst vorsichtig, wenn uns die wissenschaftliche Datenlage nicht ausreichend erscheint. Über diese Situation informieren wir schwule Paare auch in der Beratung. Missverstanden hat Feddersen auch das Zielpublikum unserer Kampagne „Ich weiß was ich tu“. Sie richtet sich ausschließlich an Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Die Allgemeinbevölkerung ist zu keinem Zeitpunkt Zielgruppe der Kampagne. Daher ist auch keine Ausweitung „in alle anderen Medien“ geplant, wie Feddersen schreibt. Unsere erste bundesweite MSM-Kampagne wird selbstverständlich einer vorherigen Evaluation unterzogen, um eine möglichst wirksame und weiterhin erfolgreiche Präventionsarbeit der DAH sicherzustellen. Wir arbeiten seit zwei Jahrzehnten erfolgreich mit der BZgA zusammen: Die BZgA kümmert sich um die Aufklärung der Allgemeinbevölkerung. Die Deutsche AIDS-Hilfe um Prävention in den sog. Risikogruppen wie z. B. MSM, Drogengebraucher, Menschen in der Sexindustrie, Migranten aus Hochprävalenzländern. LUIS CARLOS ESCOBAR PINZÓN,

Bundesgeschäftsstelle der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. (DAH)

Anmerkung der Redaktion: Nicht alle Kampagnen der DAH sind einer Evaluation unterworfen worden – gerade unter schwulen Männern aber wäre eine schnellere Lancierung der geplanten Aufklärungsaktion nötig gewesen, zumal während der Zeit der Christopher-Street-Paraden. Es hätte erörtert werden können, dass die schweizerischen Befunde keinen Freibrief für ungeschützten Sex bedeuten. Sondern: Dass in dieser Expertise HIV-Positive nicht mehr als Virenschleudern aufscheinen, sondern als Menschen, die, bei entsprechender medikamentöser Betreuung, als quasi negativ zu gelten haben. Dass es zur Virenlast im Enddarm keine Studien gibt, ist nicht allein bedauerlich, sondern ein gesundheitspolitischer Skandal. Die Zusammenarbeit von DAH und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, welche als „erfolgreich“ genommen wird, kann nicht blind für eine Kritik machen, dass die DAH sich um eine offensive Aufklärung im Sinne der neuen Wissensstände in den schwulen Szenen zu drücken scheint.