Der große Ausverkauf

Die angeblich größte Ausstellung des Künstlers Jörg Immendorff ist jetzt in Hamburg zu sehen – nicht im Museum, sondern im Congress Centrum. Einige Grafiken können auch erstanden werden. Gleich mitverscherbelt wird Immendorffs Renommee

Jörg Immendorff, geboren 1945, zählt zu den bekanntesten deutschen Künstlern der jüngeren Vergangenheit. Als Schüler Joseph Beuys’ betrat er Mitte der 60er Jahre in der Rolle des politisch versierten Aktionskünstlers die Bühne des Betriebs. Berühmt wurde er Ende der 70er mit dem Zyklus „Café Deutschland“, der den Ost-West-Konflikt bebilderte. Der spätere Gerhard-Schröder-Freund Immendorff selbst verortete seine Kunst damals zwischen Punk und Agit-Prop – und übte entscheidenden Einfluss auf jüngere Kollegen aus: Ob Martin Kippenberger, Albert Oehlen oder Daniel Richter: Sie schulden dem 2007 Verstorbenen einiges.  MAP

VON MAXIMILIAN PROBST

Dirk G. ist Galerist und Verleger. In Düsseldorf, in seiner Galerie, verkauft er Grafiken von Jörg Immendorff. In seinem Verlag verlegt er Editionen der Grafiken des Malers. Ab und an versucht sich Dirk G. auch als Kurator. Derzeit zum Beispiel ist er „CCH-Kurator“, wie ihn die Bild so schön nennt, Kurator des Congress Center Hamburg. Dort stellt er aus, Grafiken von, genau, Jörg Immendorff.

Seit Wochen bewerben die Veranstalter seine Ausstellung als größte Immendorff-Ausstellung überhaupt. Zur Eröffnung jubelte sogar Bild am vergangenen Freitag, im CCH erfahre man alles, was man über den „Malerfürsten“ wissen müsse. Der Erfolg scheint gewiss – zumal die Schau danach auf Welttournee gehen wird, wie die Plakate verkünden. Was aber die einen als „Immendorff forever“ feiern, wie es auf den Messe-Flyern heißt, ist für die anderen eine Katastrophe: Mit der jüngsten Ausstellung, heißt es aus der Kunstwissenschaft, werde zwei Jahre nach dem Tod des Menschen Immendorff nun auch sein künstlerisches Werk zu Grabe getragen.

„Für Immendorffs künstlerisches Renommee ist die Ausstellung entsetzlich“, sagt etwa Robert Fleck, Direktor der Hamburger Deichtorhallen: Nun könne auf Jahre hinaus kein Museum eine wissenschaftlich fundierte Ausstellung mehr machen: „Versuchen Sie mal in zwei Jahren zu sagen: So, das ist jetzt die große Immendorff-Ausstellung.“

Dabei wäre eine kunstwissenschaftliche Aufarbeitung des Werkes gerade im Fall Immendorff äußerst dringlich – an der Echtheit seiner späten Arbeiten bestehen ernst zu nehmende Zweifel. Der Künstler litt an der Nervenkrankheit amyotrophe Lateralsklerose (ALS). In den letzten Jahren vor seinem Tod im Mai 2007 saß er im Rollstuhl, konnte die Hände nicht bewegen. Seine Bilder wurden von Assistenten gemalt und mit Stempeln oder Schablonen signiert.

Dabei sieht es so aus, als habe Immendorff sein Atelier immer mehr wie eine Fabrik geführt – und seine Werke als Waren für den Massenmarkt produzieren lassen. Denn Immendorff brauchte Geld, viel Geld. Um seinem seltsamen Ruf als Lebemann gerecht zu werden – mit Kokain in den Taschen und Prostituierten im Arm.

Nicht überall, wo „Imme“ draufsteht, steckt also auch „Imme“ drin. Und längst nicht jeder „echte“ unter den „Immes“ ist gleich ein großes Kunstwerk. Es besteht also einiger Klärungsbedarf – und eine Ausstellung, bei der die Ungenauigkeiten schon beim Plakat beginnen, kann ihn nur vergrößern. „Jörg Immendorff. Sein grafisches Lebenswerk und Skulpturen“, steht da. Lebenswerk ist ein Synonym für das Gesamtwerk eines Künstlers. Im Gesamtwerk des Künstlers Immendorff indes spielen die nun gezeigten Grafiken allenfalls eine untergeordnete Rolle.

Dirk G. sieht das anders: „Das ganze Werk, das ganze Leben, die ganze Schaffenskraft“ Immendorffs werde sich in der Ausstellung entfalten, sagt er auf der vorausgeschickten Pressekonferenz. Und erklärt dann, mit anschwellendem Enthusiasmus, wie er dazu kam, diese Schau zu machen: Wie er als junger Spund, 20-jährig – „mich kannte damals wirklich kein Mensch“ – sein großes Idol, Immendorff, im Atelier besucht habe. Wie Immendorff sich von der Idee, in G.s Heimatdorf „eine Ausstellung zu realisieren“, überzeugt gezeigt habe. Wie sie dann die nächsten 18 Jahre lang eng zusammengearbeitet hätten und er, G., in diesen langen Jahren alles von ihm, Immendorff, gelernt habe: Was die Kunst ist, was das Leben. Und wie sich beides unter einen, das heißt seinen, Immendorffs, Hut bekommen ließe. Und Immendorff wiederum unter sein, G.s, Dach. Oder sollte lieber von seinem Geschäft gesprochen werden?

Das fängt in Hamburg so an: Das Congress Centrum stellt seine Räume für G. mietfrei zur Verfügung. Der bestückt sie mit Exponaten, die mit Ausnahme von zweien aus Privatsammlungen stammen. Wobei die Annahme nicht abwegig erscheint, dass der größte Teil aus G.s höchsteigener Sammlung kommt. Man kann sich in diesem Punkt aber auch ganz schön versteigen – weil G. und seine Leute über die Provenienz der Werke lieber schweigen. Sicher lässt sich nur sagen, dass G. viele seiner Drucke im Kunst-Shop zeigt, in dem die Ausstellung kulminiert.

Da hat sich der CCH-Kurator ganz von Ikea inspirieren lassen: Erst läuft man durch die mit unzähligen Stellwänden unüberschaubare Ausstellung, vorbei an sorgsam zu hübschen Ensembles sortierten Stücken. Dann gelangt man in den Lagerbereich, in den Shop. Zuschlagen lautet dort die Devise. Nur bei den Preisen gibt es Unterschiede: 1.500 Euro muss mindestens aufwenden, wer im CCH shoppen will. Es kann aber auch ein Druck für 7.000 Euro sein.

Viel Geld – vor allem, wenn man weiß, dass Immendorff-Grafiken auch schon für 500 Euro zu haben sind. Das erzählte zumindest der Leiter des Auktionshauses Ketterer vor kurzem der taz – allerdings noch in Unkenntnis jüngster Debatten um die Echtheit und den künstlerischen Wert der späten „Immes“.

Dirk G. trägt vor der Presse übrigens einen breiten schwarzen Gürtel, auf dessen Schnalle in silbern das Kürzel AX prangt. AX steht für „Armani Exchange“, das billigste aller Armani-Labels. Bei AX ist es nicht mehr die Qualität, die auch gar nicht erwartet wird. Sondern der Name. Und der liest sich nun mal Armani. Oder auch Immendorff. Die Welttournee führt für die Ausstellung übrigens nach Quito, Ecuador. Weiter weiß man noch nicht.