Gegenöffentlichkeit oder Durchhörprogramm

Im ältesten Bürgerradio Niedersachsens, Radio Flora, eskaliert der Konflikt zwischen alter und neuer Schule: Während die neue Sendeleitung auf höhere Quoten setzt, wollen Kritiker die Prinzipien des Freien Radios bewahren

Laut einer Erhebung hat der Sender 2.000 Stammhörer – 50 Prozent weniger als vor acht Jahren

Man könnte es passend finden, dass der Streit über die Neuausrichtung von Hannovers „Radio Flora“ nun über die Ausstrahlung des Features „Die Kampagne“ eskaliert: Darin nämlich schildert Hubert Brieden, der seit neun Jahren für Niedersachsens ältestes Bürgerradio arbeitet, seine Sicht auf die Umstrukturierungen – Titel der Sendung: „Beseitigung eines selbstverwalteten Rundfunkbetriebs in Hannover“.

Brieden kritisiert nachdrücklich, dass mit der neuen Sendeleitung hierarchische Strukturen eingeführt worden seien, die dem Redaktionsstatut widersprächen. Statt eines „durchhörbaren“ Programms fordert er eine Rückbesinnung auf die Ausgangsidee des Freien Radios: „Gegenöffentlichkeit“ und Räume für Minderheiten.

Als die Verantwortliche der Redaktion International das Stück jedoch am 7. Juli anmoderierte, blendete der Techniker stattdessen Musik ein. Dies geschehe auf Anordnung der Sendeleitung, so die Auskunft. Für Brieden ein „einzigartiger Vorgang in der Radiogeschichte Westdeutschlands“ und zugleich eine „eindrückliche Bestätigung“ der Thesen seines Features. Das wurde dann übrigens einen Tag später gesendet – auf einem offenen Sendeplatz, statt wie beabsichtigt im redaktionellen Teil. Bis zu einer Stellungnahme der Redaktion International ist deren Sendeplatz vorerst ausgesetzt.

Für Caren Beckers vom Vorstand des Trägervereins von Radio Flora hat das mit Zensur nichts zu tun: Es sei Teil des Redaktionsstatuts, dass Themen, die alle angingen, vorab auf der Programmkonferenz vorgestellt werden müssten. Brieden habe sich trotz der Aufforderung von Sendeleiter Achim Wiese nicht dazu geäußert, wie es im Beitrag um die journalistische Sorgfaltspflicht bestellt sei. Wiese hatte sich per E-Mail bei Brieden darüber beklagt, dass weder Programmleitung noch Vereinsvorstand in dem Beitrag zu Wort kämen.

Jenseits des Features sieht auch Caren Beckers einen grundsätzlichen Konflikt unter den Mitarbeitern: „Es ist traurig, was passiert, wenn Verfechter des alten Radios auf Leute treffen, die professionelles Bürgerradio machen wollen“, sagt sie. Wobei die Professionellen in der Mehrheit seien.

Auslöser für das Aufbrechen des Konflikts war eine Hörererhebung im vergangenen Jahr, nach der nur 2.000 Stammhörer das Flora-Programm verfolgen – 50 Prozent weniger als noch vor acht Jahren. Daraufhin hatte die Landesmedienanstalt die Lizenz des Senders nicht verlängert.

Radio Flora wiederum suchte sich erstmals einen professionellen Journalisten als Sendeleiter, der auch vom Plenum bestätigt wurde. Dass Achim Wiese früher bei der Bild-Zeitung tätig war, hat jedoch nicht alle Mitarbeiter für ihn eingenommen. Während Vorstandsfrau Becker die Anstellung von Hauptamtlichen als Professionalisierung begrüßt, ist das für die Vertreter des alten Radios ein Schritt zu mehr Hierarchien und Intransparenz.

All dies wird die Einigungsgespräche mit zwei weiteren Interessenten für die UKW-Frequenz 106,5 MHz nicht erleichtern. Noch in diesem Sommer nämlich soll entschieden werden, ob man sich gemeinsam mit dem Bürgerfunk Neustadt und dem Radioteam Niedersachsen bei der als konservativ geltenden Niedersächsischen Landesmedienanstalt bewirbt.FRIEDERIKE GRÄFF