Dänen werden tolerant

In der Kieler Ratsversammlung haben SPD und Grüne einen Kooperationsvertrag geschlossen, der vom SSW, der Vertretung der dänischen und friesischen Minderheiten, toleriert wird. Das Bündniss verspricht: Es wird kein Kohlekraftwerk gebaut

Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) wurde 1948 auf Anordnung der britischen Militärregierung als Interessenvertretung der dänischen Minderheit und der nationalen Friesen gegründet. Längst von seiner Zielsetzung einer Wiedervereinigung mit Dänemark abgerückt, bleibt heute die Orientierung an der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in Skandinavien. Seinem Selbstbild nach steht der SSW für eine dezentrale Politik: Politische Entscheidungen sollten so bürgernah wie möglich getroffen werden. Und die Bürger müssen die Möglichkeit haben, diese zu beeinflussen.  MAP

VON ESTHER GEISSLINGER

Rot-grün-blau: Die politische Farbenlehre ist um eine Kombination reicher – in der Kieler Ratsversammlung haben sich SPD, Grüne und der SSW, die Vertretung der dänischen und friesischen Minderheiten, zusammengetan. Einen Kooperationsvertrag – Koalitionen gibt es auf Kommunalebene nicht – schließen nur Sozialdemokraten und Grüne miteinander. Der SSW, der eine Ratsfrau stellt, wird die Kooperation tolerieren, also grundsätzlich bei Abstimmungen unterstützen. Zu dritt kommt das Bündnis auf 29 von 56 Stimmen in der Ratsversammlung, in der außerdem CDU, FDP, Linke und ein NDP-Abgeordneter sitzen. Ein klares Versprechen des Dreier-Bündnisses lautet, dass in Kiel kein Kohlekraftwerk gebaut wird.

Das Tolerierungsmodell ist in Skandinavien üblich. „Jahrelang im dänischen Parlament erprobt“, sagte SSW-Ratsfrau Antje Danker, die bei der Vorstellung des Kooperationsvertrages am Montag mit am Tisch saß. In den meisten Punkten sei sie mit SPD und Grünen einig. Obwohl die drei Seiten generell gemeinsam abstimmen wollen, besteht kein Zwang. Weigert sich der SSW in einem Einzelfall, muss sich das Bündnis andere Partner suchen. „Der SSW wünscht, ebenso wie Rot-Grün, breite Mehrheiten und begrüßt daher das Ziel, im Dialog mit den anderen Fraktionen möglichst großes Einvernehmen im Rat zu finden“, heißt es im Kooperationsvertrag.

Schon einmal gab es in Schleswig-Holstein den Versuch, eine „Dänenampel“ zu installieren: Seit der Landtagswahl im Februar 2005 haben im Landesparlament Rot-Grün plus SSW eine rechnerische Mehrheit. Das Modell scheiterte spektakulär, weil ein Abgeordneter Heide Simonis seine Stimme verweigerte. Auch in Kiel dauerte es lange, bis sich die drei Parteien zusammenfanden. Seit der Wahl Ende Mai gab es Sondierungsgespräche, denn der Sieben-Parteien-Rat bietet rechnerisch mehre Möglichkeiten. „Jamaika“ mit CDU, Grünen und FDP war ebenso gescheitert wie eine Kooperation der SPD, die stärkste Fraktion in der Ratsversammlung ist, mit Grünen und FDP. Erschwert wurden die Gespräche, weil bis heute die Gesamtzahl der Abgeordneten nicht feststeht. Je nachdem, auf welcher Grundlage die Überhangmandate berechnet werden, könnten zwei weitere Abgeordnete ihre Sessel in den Ratssaal stellen. Profitieren würden die CDU, die zurzeit 17 Sitze hat, und die Grünen, die zurzeit neun Abgeordnete stellen.

Rot, Grün und SSW haben sich für ihre Zusammenarbeit eine Reihe von Zielen gesteckt, vor allem in der Bildungs-, Sozial- und Klimapolitik. „Kiel ist Klimaschutzstadt“, sagte Lutz Oschmann (Grüne). Anstelle des geplanten Kohlekraftwerks will das Bündnis auf dezentrale Energieversorgung setzen, denkbare Stromquellen könnten Biomasse, Abwärme der Müllverbrennung oder Off-Shore-Anlagen sein. „Gutachten vom Kohlekraftwerk liegen vor, daher haben wir eine gute Datenlage.“ Ein Klimaschutzkonzept könnte über Bundeszuschüsse gefördert werden. „Diese Mittel werden wir einwerben“, versprach Oschmann. Außerdem will sich das Bündnis für Stadtentwicklung einsetzen, die Innenstadt beleben, dabei aber ebenfalls die Problemviertel auf dem Ostufer nicht vergessen. Der gesetzlich vorgeschriebene Ausbau von Krippenplätzen soll umgesetzt werden – zurzeit stehen für 15 Prozent der Unterdreijährigen Plätze bereit, bis 2013 sollen es mehr als doppelt so viele werden. Mittelfristig sollen „alle Kinder ganztägig betreut“ werden, heißt es im Programm, Kita-Plätze sollen möglichst beitragsfrei sein.

Allerdings: Angesichts des maroden Landeshaushalts könnten einige Pläne Luftschlösser bleiben, jede Idee steht unter dem „Vorbehalt der Finanzierbarkeit“. „Ein ausgeglichener Haushalt ist das Ziel“, sagte Ralph Müller-Beck (SPD). Wann der aber erreicht sei, ließe sich schwer sagen: „Allein der vorgeschriebene Ausbau der Hortplätze kostet 16 Millionen, die Umgestaltung von Schulen zehn Millionen – das sind Dinge, die die Ratsversammlung nie beschlossen hat, sondern die von Bundes- und Landesebene kommen“, sagte Anke Erdmann (Grüne).

Sparen will das Bündnis unter anderem in der Verwaltung. Dort werden in den kommenden Jahren rund 700 der insgesamt 5.000 Stellen frei, weil deren Inhaber in Rente gehen. Welche Posten neu besetzt werden, müsse geprüft werden – betriebsbedingte Entlassungen werde es nicht geben. Auf die Frage, ob sich der SSW die Tolerierung bezahlen lässt, sagte Antje Danker, sie sei froh, dass die dänische Minderheit nun im Vertrag genannt wird. Es solle unter anderem geprüft werden, ob dänische Kitas schlechter gefördert würden als deutsche. Rolf Fischer (SPD) betonte: „Es ist kein Preis ausgehandelt worden.“

SPD und Grüne stimmen am heutigen Dienstagabend über den Vertrag ab – getrennt, aber zeitgleich im selben Gebäude.