OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Der New Yorker Regisseur Alan Berliner ist süchtig nach dem Filmemachen. Also filmt er einfach sich selbst oder seine mittlerweile etwas konsternierte Familie. Stellt man sich ja auch nicht wirklich lustig vor, wenn man – wie Berliners Gattin – mitten in der Nacht davon aufwacht, dass einem wieder einmal die Kamera unter die Nase gehalten wird. Und das passiert oft, denn Alan Berliner schläft schlecht. Also hat er mit „Wide Awake“ eine intelligente Essay-Collage über seine Schlaflosigkeit gefertigt, in der es ihm gelingt, spielerisch vom Privaten zum Allgemeinen überzuleiten: Hier erfährt man nicht nur etwas von den Problemen eines intellektuellen Neurotikers, sondern tatsächlich absolut Wissenswertes über das verhandelte Thema. Berliner lässt sich im Schlaflabor durchchecken, redet mit einem halben Dutzend Ärzten und erörtert die wichtigsten Fragen rund ums Schlafen: Wie zählt man auf die richtige Weise Schäfchen, wie wirken Schlaftabletten, steckt Gähnen an, ist Schnarchen schädlich? Oder er sitzt mit seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Frau am Tisch, überlegt, ob sich die Schlaflosigkeit vielleicht auf eine frühkindliche Prägung zurückführen lässt. Der Witz des Films liegt vor allem in den Bild- und Tonmontagen: Jeden seiner Gedanken kann Berliner auf assoziative Weise mit Archivmaterial aus Dokumentar- und Lehrfilmen, nicht verwendeten Filmschnipseln anderer Regisseure, Fotoalben fremder Leute und Zeitungsausschnitten zu allen erdenklichen Themen illustrieren. Und wenn man ihn zu Hause sitzen sieht, vor seinem Archiv mit den tausenden verschiedenfarbiger Kästen, in denen er das Leben irgendwelcher Leute verwaltet, dann versteht man auch sein Schlafproblem: Dieser Mann muss teilnehmen am Geschehen der Welt. Dagegen wirkt Schlafen einfach nur langweilig.

In den Katalogen des American Film Institute findet sich zu jedem in den USA im Kino gelaufenen Film eine Liste mit Schlagwörtern. Für Russ Meyers „Faster, Pussycat! Kill! Kill!“ (1966) sind die folgenden Begriffe verzeichnet: Go-go-Tänzerinnen, Krüppel, Brüder, Voyeurismus, Trunkenheit, Sadismus, Vergewaltigung, geistige Behinderung, weibliche Homosexualität, Raub, Mord, Verführung, familiäre Beziehungen, Wüsten, Tankstellen, Sportwagen, Karate und Autorennen. Die Handlung von Meyers brachial-satirischem Meisterwerk kann sich da jeder ohne Schwierigkeiten selbst ausmalen: „Welcome to violence!“

So sieht es aus, wenn man einen Regisseur wie Guy Maddin mit einer Dokumentation über seine Heimatstadt beauftragt: „My Winnipeg“ kommt als (alb)traumhaftes, surreales Werk daher, das in seiner Geschichte um einen jungen Mann, der verzweifelt und vergeblich versucht, der kanadischen Stadt zu entrinnen, sehr einfallsreich autobiografische Obsessionen, kurioses Sportwissen und andere zweifelhafte „Fakten“ miteinander verbindet. Stilistisch orientiert sich Maddin dabei einmal mehr an seinen Vorbildern aus dem Bereich expressionistischer Horrorfilme und des Film noir. Bei der Sommer-Berlinale präsentiert von Forumsleiter Christoph Terhechte. LARS PENNING

„Wide Awake“ (OmU), 21. 7. im Arsenal

„Faster, Pussycat! Kill! Kill!“ (OF), 23. 7. im White Trash Fast Food

„My Winnipeg“ (OmU), 17. 7. im Freiluftkino Friedrichshain