Mit dem Wasser verwoben

Rolf Lüke ist eigentlich Unternehmensberater. Doch seit dem Ertrinkungstod seiner Schwester betreibt er mit blausand.de eine der meist angeklickten Homepages über Badesicherheit. Er diskutiert mit Reiseveranstaltern, fährt auf internationale Konferenzen – und legt sich nicht zuletzt mit der DLRG an

Nur wenige Menschen wissen so gut wie Rolf Lüke, was eine Rip-Strömung ist. Unsichtbare Wasserbewegungen, verursacht durch gegenläufige Strömungen, die unvorhergesehen auftauchen und für 80 Prozent der tödlichen Badeunfälle verantwortlich sind. Lükes Schwester ist von so einer Strömung unter Wasser gezogen worden. Und weil diese Gefahr sowohl von Kommunen als auch Hotels und Veranstaltern oft „totgeschwiegen“ werde, wie Lüke sagt, beschreibt er das Phänomen in allen Einzelheiten auf seiner Homepage www.blausand.de. Dort stehen auch die „Zehn Irrtümer über das Ertrinken“. Und dass jedes Jahr in Europa mehr als 20.000 Menschen im Wasser sterben.

Der Mann hinter der Website wohnt auf dem Bremer Stadtwerder, schräg gegenüber der bundesweiten Zentrale der „Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“. Die Nachbarschaft zu seiner eigenen „Zentrale“ sei „reiner Zufall“, sagt Lüke. Er ist 61, ein großer, ruhig wirkender Mann, im Brotberuf Unternehmensberater. Auf blausand.de berät er vor allem Urlauber und Freizeitsportler, und das in ziemlich eindringlicher Form: „Vier von fünf Ertrinkungsunfällen könnten durch mehr Aufklärung und bessere Sicherheitsmaßnahmen verhindert werden.“ Jeder PKW sei besser ausgerüstet als ein öffentliches Schwimmbad, wenn es nicht elektronisch überwacht wird. Ist Lüke so etwas wie die moderne Ein-Mann-Variante der DLRG? Sein Verhältnis zu der mit einer Million Mitgliedern weltweit größten Lebensrettungsorganisation ist ambivalent.

„Anfragen zu Blausand werden grundsätzlich nur in der Zentrale beantwortet“, heißt es bei der Bremer Sektion des Verbandes. Und in Bad Nenndorf, dem Sitz der Bundesorganisation, ist Lüke in der Tat wohl bekannt: „Wir haben einen ausgeprägten Kontakt“, sagt DLRG-Sprecher Martin Janssen. Schließlich ist Lüke Stammgast bei den jährlichen Bilanz-Pressekonferenzen der Lebensretter, eine seiner Standardfragen lautet dann: Warum wird bei Badeunfällen nie erfasst, ob der Betreffende schwimmen konnte? Er bekommt die gleiche Gegenfrage zu hören, die Janssen der taz stellt: „Wie wollen Sie das denn bewerkstelligen?“ Praktisch sei so eine Erhebung kaum leistbar. Was weniger eine Frage der Prioritäten als der Pietät sei – man könne schließlich nicht die Angehörigen belästigen.

Bei aller Ruhe, über die unzureichenden Unfallanalysen kann sich Lüke schon ziemlich ärgern – überhaupt, die Statistiken: Warum publiziert der DLRG immer andere Ertrinkungszahlen als das Statistische Bundesamt? Mit Abweichungen um bis zu 30 Prozent? Die Erklärung ist ebenso einfach wie unbefriedigend: Das Bundesamt favorisiert das Wohnort-, der DLRG das Unfallortsprinzip. Stirbt ein Bayer auf Rügen, wirkt sich das nur in der regionalen Zuordnung des Todesfalles aus. Aber all‘ die Unfälle deutscher Urlauber etwa auf Mallorca beispielsweise werden lediglich vom Bundesamt erfasst.

Lükes Schwester ist auf Formentera ertrunken. An einem viel besuchten Strand, der bis dato völlig ungesichert war. Jetzt ist das anders: Auf Grund von Lükes Engagement hat die Inselverwaltung Rettungsschwimmer engagiert und ein neues Signalsystem eingeführt. Signale – auch ein rotes Tuch für Lüke.

Lokaltermin am heimischen Werdersee: Dass der DLRG-Turm unbesetzt ist – verständlich, schließlich sind es samt und sonders Ehrenamtliche, die ihre Freizeit freiwillig in den Rettungswachen verbringen. „Aber dass das nicht deutlich gemacht wird, das ist das Fatale“, sagt Lüke, und zeigt auf die Schilder, die das Gelände als überwachten Familienstrand ausweisen. So suggeriere man eine trügerische Sicherheit, die die DLRG mangels Personalmasse gar nicht leisten könne.

Lüke legt sich nicht nur mit den Lebensrettern an, auch den zuständigen Behörden schreibt er lange Briefe – und kann am Werdersee immerhin auf einen kleinen Erfolg hinweisen: Vor der Notrufnummer der DLRG ist jetzt ein Aufkleber mit „0421“ angebracht – das Fehlen der örtlichen Vorwahl hatte in der Hektik eines Unfalls schon manchen Handy-Anruf ins Leere laufen lassen.

Zurück in die weite Welt: In Spanien gebe es überhaupt keine offizielle Statistik zu Ertrinkungstoten, erzählt Lüke auf dem Nachhauseweg. Seine Freundin ist Stewardess, das macht das Fliegen billiger, er inspiziert also immer wieder auch fernere Gestade auf ihre Sicherheitsvorrichtungen. Ist „Blausand“ praktische Trauerarbeit? Auch, sagt Lüke. „Vor allem aber Aufklärung“. Am Anfang, in der ersten Zeit nach dem Tod seiner Schwester, sei natürlich vor allem Wut da gewesen. Doch mittlerweile ist der Bürgermeister von Formentera ein Freund, mittlerweile ist Lüke auch als Aufklärer nicht mehr allein: 400 ehrenamtliche „Blausand“-Strandbeobachter steuern Texte bei. Lüke fährt auf Life Guard-Konferenzen und diskutiert mit Reiseveranstaltern, damit sie in ihren Katalogen auch die Sicherheit der beworbenen Strände thematisieren. Und vielleicht auch mal einen seiner Slogans drucken: „Du kannst gut schwimmen. Weiß das Meer das auch?“