Bewegungen in Schwarmform

Touristen! Viele sind ja eigentlich ganz okay und überhaupt: Berlin lebt schließlich von ihnen. Aber dann stehen sie eben doch ständig glotzend im Weg herum oder verstopfen mit den Fat Tire Tours die Friedrichstraße. Eine Bestandsaufnahme

VON ANDREAS BECKER

„Plötzlich standen lauter Rollkoffer gegenüber der Theke, man kam kaum noch durch.“ Der Kreuzberger Fuchsbau, neue Konkurrenz der Ankerklause, war im Easyjet Bordmagazin als coole Location angepriesen worden. Einen Monat lang war der Laden voll mit „Szenetouristen“, was Mitbetreiber Andi gar nicht so toll fand, weil ihm plötzlich der eigene Laden fremd wurde. „Ich habe überlegt, Easyjet aufzufordern, den Text aus dem Heft zu werfen oder gleich die ganze Auflage einzustampfen.“

Die Berliner Gastronomie macht inzwischen teilweise die Hälfte ihres Umsatzes mit Touris. Neue Kneipen kommen kaum noch dazu, sich ein Stammpublikum aufzubauen. Schon wenige Tage nachdem im Winter auf der Oranienstraße in einem ehemaligen Gemüseladen eine Großraumwirtschaft eröffnet hatte, war der Laden voll. Eine relativ angenehme Mischung abgerockter Characters hing rum, und man wunderte sich, wo die wohl noch in Kreuzberg wohnten. Und wie perfekt sie Spanisch, Italienisch oder Amerikanisch sprachen. Jeder glaubte scheinbar in der Masse die echte Kreuzberger Mischung zu finden. Schon fragte man sich, ob man nicht in New York manchmal Läden für richtig cool gehalten hatte, in denen kaum New Yorker saßen.

Schön ist, wenn die Touris einen anders angucken als „Berliner“. Wenn sie einfach naiv lächeln, denkt man aber schnell: Werdet schon noch sehen, wie hart wir hier drauf sind! Lauft nur einmal auf den Radweg am Potsdamer Platz entlang, dann werden wir euch wegklingeln! Inzwischen leihen sie sich selbst Räder oder lassen sich von „Fat Tire Tours“ auf merkwürdig gebogenen Bikes zu zwanzig den Schleusenkrug-Biergarten im Tiergarten praktisch erklären. „This ös Weizenbeer.“

Ein echtes Problem ist das Tempo der Touris. Dauernd entdecken sie etwas Interessantes, recken die Hälse, bleiben abrupt stehen. Auf der Friedrichstraße versuche ich mich ihrer Schrittgeschwindigkeit anzupassen, schleiche hinter einer wahrscheinlich hessischen Family her. Da die so langsam sind, wird mein Abstand zu Papi immer geringer, der hält mich wahrscheinlich schon für einen typischen Berliner Taschendieb, für den man immer ein altes Siemens-Handy über die Wertsachen legt. Ich muss komische Tippelschritte machen, stolpere fast und beginne mich wie beim Wandern auf Eisenbahnstrecken zu fühlen, wo man nie den Schwellenabstand ideal trifft. Touris in kurzen Hosen oder Italienerinnen auf dem Weg zu H & M am Ku’damm können aber auch extrem schnell sein, bewegen sich aber oft in Schwarmform, was ja laut ZDF eine extreme Intelligenz produziert.

Schwierig ist die Klassifizierung der „Fremden“. Viele sind ja auch total okay, viele stehen aber auch dauernd im Weg herum oder fahren glotzend die Wasserwege entlang. Sitzt man am Urbanhafen, wird man beim Zeitung lesen beobachtet, was allem gleich einen neuen Sinn gibt, da sich die Touristen natürlich freuen, dass Kreuzberg viel netter ist, als sie es früher – 1. Mai!!!! – dachten. Dann hocken sie sich abends zu den pausierenden, glatt rasierten jungen Bierflaschenläufern auf die Admiralbrücke und eine schreckliche Band „verbreitet Flair“.

Als dann ein Typ mit Kind blöd den Weg vom Prinzenbad nach Hause blockiert, ist es mal kein Touri, er schimpft: „Is dit en Radweg?“ Extralaut für den Berlinbesucher-Thrill brülle ich: „Is dit ne Großstadt oder en Dorf?“