Der gläserne Mieter

Hamburg nötigt mit einem neuen Formular ALG-II-Bezieher, sich gegenüber ihrem Vermieter zu outen. Laut Behörde sind die Angaben freiwillig. Doch dieser Hinweis fehlt in dem Fragebogen, moniert auch der zuständige Datenschützer

VON KAIJA KUTTER

Klaus Schmidt* bezieht Arbeitslosengeld II, aber nicht mehr lange. Nach den Sommerferien tritt er eine neue Stelle an. Doch bevor es soweit ist, versetzte ihm die Hamburger Hartz-IV-Behörde „Team Arbeit Hamburg“ noch mal einen gehörigen Schreck. „Sie beziehen Arbeitslosengeld II und sind verpflichtet alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind“, heißt es in einem Brief vom 14. Juli. Um die Angemessenheit der Mietkosten zu prüfen, benötige man einen Nachweis der „Baualtersklasse“. Dieser sei als Anlage dem Schreiben beigefügt und „ist von Ihrem Vermieter bzw. Verwalter auszufüllen“, heißt es wörtlich.

Schmidt hat erfahren, dass dieser Brief an viele ALG-II-Bezieher in der Stadt ging und ist entsetzt: „Das heißt ja, dass sich die Menschen ihren Vermietern offenbaren müssen“. Dabei wurde es bewusst vom Bund so geregelt, dass die Miete nicht direkt an den Vermieter, sondern zunächst auf das Konto der Leistungsempfänger überwiesen wird, „damit an dieser Stelle keine Diskriminierung stattfindet“, wie eine Sprecherin des Arbeitsministeriums erklärt.

„Team Arbeit Hamburg“ ist eine Verwaltungsgemeinschaft, die aus der Arbeitsagentur und früheren Sozialämtern gebildet wurde und heute in 17 „Jobcentern“ knapp 200.000 ALG-II-Bezieher betreut. „Das Formular für den Vermieter muss nicht zwangsweise verwendet werden“, sagt deren Sprecherin Marina Marquardt. „Es soll nur eine Hilfe sein, das haben die Mitarbeiter im Jobcenter den Kunden auch gesagt“. Der Nachweis, wann das Haus gebaut wurde, könne auch im Internet recherchiert oder bei Stadtteilprojekten erfragt werden.

Nötig sind die Informationen über die „Baualtersklasse“, weil es in Hamburg seit einem Jahr eine neue Richtlinie gibt. Grundsätzlich erhalten ALG-II-Bezieher nur die Kosten für „angemessenen Wohnraum“. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2006 darf Hamburg dabei nicht nur nach der Quadratmeterzahl gehen, sondern muss auch den örtlichen Mietspiegel berücksichtigen, der wiederum auch nach Alter und Zustand der Gebäude unterscheidet. „In der Sache ist das gut. Es hat in meinem Fall dazu geführt, dass ich meine Wohnung behalten konnte“, sagt Wolfgang Joithe, ehemaliger ALG-II-Bezieher, der für Die Linke in die Hamburger Bürgerschaft einzog. Er hält aber das Schreiben für dreist: „Es gibt viele Menschen, die das einfach ihrem Vermieter schicken, weil sie sich nicht ihrer Rechte bewusst sind“.

Eine Betroffene hat sich vor vier Wochen an den Hamburger Datenschutzbeauftragten gewandt, der die Sache prüfte. „Sie muss das Formular nur dann dem Vermieter geben, wenn sie keine anderen Nachweise hat“, sagt Datenschützer Detlef Malessa. Oft stünden die nötigen Angaben über Baualter, Renovierungsstand und Heizungsart aber schon im Mietvertrag, der sogar im Jobcenter vorliegt. Malessa: „Mein Wunsch wäre, dass das Formular geändert wird und die Mitarbeiter im Jobcenter entsprechend beraten“. Das habe die Verwaltung ihm auch zugesagt.

Darüber kann Klaus Schmidt nur lachen: „Die haben mir keine Wahl gelassen, sondern mit Kürzung gedroht“. Wörtlich schrieb sein Sachbearbeiter: „Vorsorglich weise ich darauf hin, dass Ihnen die Leistungen nach §§ 60ff SGB I, bei fehlender Mitwirkung versagt werden können“. Die Ämter sollten doch den Betroffenen „einfach glauben“, fordert Neuparlamentarier Joithe. „Sollte es denn Zweifel geben, könnten die Sachbearbeiter immer noch den Gebäudezustand beim Grundbuchamt erfragen.

Etwas Ähnliches hat die Hamburger Sozialbehörde jetzt auch vor. In der Regel gebe es mit dem Formular „kein Problem“, sagt deren Sprecherin Jasmin Eisenhut. „Sollte im Einzelfall ein Mieter sich nicht als ALG-II-Empfänger zu erkennen geben wollen, kann man alternativ auf seine glaubhaften Aussagen zurück greifen“. Im Zweifel könnten Außendienstmitarbeiter die Gebäude schlicht anschauen. Angesprochen auf die Diktion des Briefes vom 14. Juli sagt Eisenhut: „Wir werden Gespräche mit Team Arbeit führen, um das Problem zu lösen“. *Name geändert