„Das nimmt die Angst“

Unternehmerinnen gab es in Bremen schon im Mittelalter. Christine Holzner-Rabe erforscht ihre Geschichte und erläutert sie auf Stadtrundgängen – um Frauen zur Selbständigkeit zu ermutigen

CHRISTINE HOLZNER-RABE, in Österreich geboren, war Mitte der 1980er fürs Studium nach Bremen gekommen. Seit 1987 forscht die Mutter zweier Kinder zur weiblichen Stadtgeschichte. Sie ist Gründungsmitglied des Bremer Frauenmuseums und Autorin mehrerer Bücher, zuletzt „Stark. Mutig. Einfallsreich 1.000 Jahre Unternehmerinnen in Bremen“.

INTERVIEW: CHRIS RUSCHIN

Frau Holzner-Rabe, im Kopf hat man das Klischee, früher war der Mann für das Geldverdienen zuständig und die Frau besorgte den Haushalt…

Ja, und das ist eben ein Klischee! In Bremen waren beispielsweise Mitte des 19. Jahrhunderts nicht einmal die Hälfte der Frauen verheiratet. Da fragt man sich: Wovon lebten die? Da muss es eine andere Lösung gegeben haben.

Etwa das Angestelltenverhältnis?

Ja, aber es gab auch viele selbständige Meisterinnen.

Schon ab dem 19. Jahrhundert …?

… sogar schon im Mittelalter. Da führten auch Frauen Betriebe, die waren also Unternehmerinnen. Zu dieser Zeit hatten ledige Frauen übrigens gewisse Vorteile. Denn aufgrund der herrschenden Geschlechtsvormundschaft brauchten verheiratete Frauen immer die Genehmigung des Mannes. Das heißt aber nicht, dass nur ledige Frauen Betriebe geführt hätten.

Was waren das für Betriebe?

Da gab es etliche, zum Beispiel die „Sadeler“, also Sattlerinnen, dann Brauerinnen, Taschenherstellerinnen, Riemenschneiderinnen oder Pelzerinnen. Pelzerinnen stellten Felle und Pelze her und bearbeiteten sie.

Klingt anstrengend.

Ja, das ist es auch. Die Lehrzeit betrug vier bis sieben Jahre – allerdings mussten die Frauen nicht auf Wanderschaft gehen. Innerhalb eines halben Jahres mussten dann drei Mäntel als Meisterstück genäht werden. Das ist hart, Meisterinnen waren trotzdem kein Sonderfall.

Endet diese Selbständigkeit mit dem Ausgang des Mittelalters?

Nein. Mitte des 19. Jahrhunderts sind in Bremen wieder Dutzende von Frauen verzeichnet, die in den unterschiedlichsten Berufen selbständig erwerbstätig sind. Angefangen von den Schlachterinnen über Stuhlbauerinnen bis hin zu den Blutegelsetzerinnen. Diese Frauen erfüllten gesellschaftliche, gesundheitliche und ökonomische Bedürfnisse der anderen Menschen nach dem Prinzip Angebot und Nachfrage. Genauso wie heute ja auch.

Woher haben Sie Ihr Wissen? Aus Geschichtsbüchern?

Nein, eigentlich nicht. Vor etwa 20 Jahren fing allerdings eine sehr intensive Forschung über das Leben von Frauen in der Vergangenheit und deren Leistungen in Bildung, Kultur, Politik, Wirtschaft an. Ich bin selbst an der Forschung beteiligt und stütze mich auch auf die Forschungsergebnisse von anderen.

Und Sie bieten einmal im Jahr einen Stadtrundgang zu diesem Thema an. Haben diese Frauen denn überhaupt Spuren hinterlassen?

Sichtbar ist beispielsweise das Denkmal von Metta Cordes mit ihrem Esel Anton in der Knochenhauerstraße. „Mutter Cordes“ war eine ganz einfache Frau, die aufgrund der Verhältnisse gezwungen war, selbst über die Runden zu kommen. Mit Fantasie und durch zufällige Chancen, die sie erkannt und ergriffen hat, betrieb sie eine selbständige, jahrzehntelange Erwerbstätigkeit. Sie verkaufte auf einem Wagen Obst und Gemüse.

Ziemlich unspektakulär. Jedenfalls ist es nicht das klassische Unternehmerbild …

Nein, das ist keine Frau, bei der man sagen würde, die ist eben besonders ehrgeizig gewesen, wollte Karriere machen oder viel Geld verdienen. Die hat so gearbeitet und gelebt, damit sie nicht verhungern musste. Ich finde diese Frau schon beeindruckend.

Warum?

Weil sie es in privaten, wirtschaftlichen und sozialen Missständen geschafft hat, im aufrechten Gang ihr Leben zu organisieren. Als ihr Mann Karl Cordes starb, fand die fast 40-jährige fünffache Mutter keine Anstellung. Sie hatte keine Ausbildung, für Frauen aus den so genannten niederen Ständen gab es keine Berufsbildungsschulen.

Was hat sie getan?

Die Situation zwang sie dazu, vier ihrer fünf Kinder ins Heim abzugeben. Mit ihrem „Grünkramwagen“ versuchte sie sich und ihren jüngsten Sohn durchzuschlagen. Und sie hat es geschafft.

„Bremen ist keine Stadt,die sich ausschließlich durch das männliche wirtschaftliche Tun entwickelt hat“

Ihr Rundgang heißt: Stark. Mutig. Erfolgreich. Gibt es denn keine Negativerfahrungen?

Sie meinen, dass da jemand verhungert wäre? Das ist sicher vorgekommen, aber ich habe kein Beispiel gefunden, in Bremen. Aber ich habe auch nicht gezielt danach gesucht, dass da jetzt Frauen versucht hätten sich selbständig zu machen, und dann dermaßen gescheitert wären.

Was möchten Sie ihren ZuhörerInnen mit auf den Weg geben?

Es geht auch darum, Mut zu machen: Für Frauen, die sich heute selbständig machen wollen, ist es sich wohltuend zu hören: Es gibt weibliche Vorbilder. Das schafft Identifikationsmöglichkeiten und nimmt die Angst.

Welche Angst?

Es ist immer leichter, wenn man in einer Tradition steht, als wenn man die Erste ist. Diese Frauen waren deutlich beteiligt am wirtschaftlichen Geschehen in dieser Stadt. Dass es in der Vergangenheit schon viele Frauen gegeben hat, die das gepackt haben, heißt ja, dass sie das heute eben auch können – und nicht aufgrund ihres Geschlechts immer als schwaches Geschlecht dastehen müssen. Das ist auch gut für Männer, so etwas zu wissen.

Was?

Dass Bremen keine Stadt ist, die sich ausschließlich durch das männliche wirtschaftliche Tun entwickelt hat – sondern eben auch durch das weibliche.