„Auf diese Weise lernt man nichts“

Der Hamburger Sportwissenschaftler Christian Burmeister bot als einer der ersten Radfahrkurse für Erwachsene an. Das größte Hindernis sei, dass Erwachsene immer schon zu wissen glauben, was passieren wird

taz: Herr Burmeister, wie kamen Sie dazu, die Kurse anzubieten?

Christian Burmeister: Das ging damals über eine Zeitung, die eine Leseranfrage hatte: „Hilfe, ich kann nicht Radfahren“. Sie haben mich gefragt, ob ich mich dieser Frau annehmen kann. Es wurde ein Kurs eingerichtet und im Gegenzug in dieser Zeitung angeboten. Danach hörte das Telefon nicht mehr auf zu klingeln.

Was waren das damals für Leute?

Vor allem Menschen der Nachkriegsgeneration, die aus Zeit- oder Geldgründen keine Gelegenheit bekamen, sich ein Fahrrad zu erobern.

Und später?

Querbeet. Es sind Menschen, die zum Beispiel als Kinder in Watte gepackt wurden, immer mit dem Auto gefahren wurden. Oder sie waren lange krank als Kind oder im Ausland oder kommen aus einem Land, in dem Radfahren nicht üblich ist.

Sind Frauen und Männer gleichermaßen in Ihren Kursen vertreten?

Es sind zu 90 Prozent Frauen, was zum einen daran liegen wird, dass Jungen dazu mehr Gelegenheit gegeben wird, Rad fahren zu lernen – sie sind da ganz klar bevorteilt. Und zum anderen würde der „normale Mann“ selten zugeben, dass er das nicht kann. Er geht lieber in den Wald und kommt erst mit blutverschmierten Knien wieder heraus, wenn er es irgendwie gelernt hat.

Warum tun sich Erwachsene so schwer?

Dazu muss man sich angucken wie Kinder lernen. Kinder differenzieren die Welt, die freuen sich über jeden Moment, der anders ist und lassen ihn auf sich zukommen. Erwachsene hingegen konstruieren die Welt, sie glauben zu wissen, was passieren wird und bewerten den Moment. Aber auf diese Weise überfordert man sich permanent und lernt nichts. Denken Sie an Ihre Fahrstunden. Da sagt der Fahrlehrer zum x-ten Mal „Kupplung weicher kommen lassen“, anstatt Sie das selbst herausfinden zu lassen. Es hilft nicht, ihnen ein Phantom in den Kopf zu setzen und zu sagen, „du musst das so und so machen, und ich zeig’ dir das jetzt, und dann geht das schon“.

Und wie bringen Sie den Leuten was bei?

Ich gebe ihnen durch konkrete, vielseitige und vor allem praktische Herausforderungen die Möglichkeit, sich auf das Fahrrad einzulassen und sich von ihm erzählen zu lassen, was möglich ist und was nicht.

Und beginnen mit Stützrädern?

Um Gottes Willen! Niemals!

Warum nicht?

Weil Sie damit lernen, in brenzligen Situationen ins Rad hineinzuspringen, anstatt die Sicherheit neben dem Rad zu suchen und zur Seite abzusteigen. Ein Rad mit Stützrädern kann man aber nicht kippen. Das kann man bei Kindern sehen, die mit Laufrädern lernen. Die steigen eben nicht nach vorn in das Rad, sondern zur Seite neben das Rad ab.

Aber man kann es danach doch anders machen.

Nein, das ist ja das Gefährliche. In Situationen, in denen wir unter Stress keine Zeit haben zu denken und zu entscheiden, greifen wir unwillkürlich auf unsere Ersterfahrungen zurück.

Nach Ihrem Konzept ist die Ersterfahrung der Roller.

Der Vorteil ist, dass man dabei lernt aufzustehen. Der Sattel ist ja nur eine trügerische Sicherheit.

Ist er?

Das ist ähnlich wie mit den Stützrädern. Wer sich auf den Sattel verlässt, wird in einer Gefahrensituation sitzen bleiben und hoffen, dass die Füße schon irgendwie den Boden erreichen. Besser ist es, sich in die Pedale zu stellen.

Gibt es Menschen, die auch bei Ihnen das Radfahren nicht lernen?

Alle, die es wollen, werden es auch lernen – mit welchen Voraussetzungen auch immer. Ich bin mir sicher, dass die anderen Gründe haben, es nicht zu wollen. INTERVIEW: EIKEN BRUHN

Fotohinweis:CHRISTIAN BURMEISTER, 47, lebt als Sportwissenschaftler in Hamburg und gibt seit 1988 Radfahrkurse für Erwachsene.