„Die Durchlässigkeit ist größer“

„Der Zugang ist unheimlich schwer“, sagt der neue Leiter der HSV-Nachwuchsabteilung Jens Todt. Der HSV sei eben kein Zweitligist, sondern ein Bundesliga-Verein mit internationalen Ansprüchen

INTERVIEW: RALF LORENZEN

taz: Her Todt, vor drei Jahren haben sie in einem taz-Interview gesagt, dass Sie ganz weit weg sind vom Fußball. Zu der Zeit haben Sie gerade ein Volontariat bei Spiegel Online gemacht. Was hat Sie zum Fußball zurückgeführt?

Jens Todt: Die letzten zwei Jahre als Fußballer waren frustrierend. Ich war viel verletzt, habe häufig nicht gespielt und mit Schmerzen trainiert. Ich habe die Karriere dann ja auch vorzeitig beendet und noch als Scout bei Hertha BSC gearbeitet. Danach brauchte ich eine ganz harten Schnitt. Neben dem Fußball war Journalismus immer meine zweite Leidenschaft, und das ist auch immer noch so. Die Arbeit bei Spiegel Online hat mir viel Spaß gebracht, aber dann kam die WM und die Lust auf Fußball kehrte schleichend zurück, bis dann der Wunsch da war, wieder etwas in dem Bereich zu machen.

Der Wunsch hat Sie dann gleich nach Afrika geführt?

Ja, ich habe für den HSV ein viermonatiges Rechercheprojekt in Westafrika durchgeführt. Bis dahin gab es keinen richtigen Zugang nach Afrika. Wir haben systematisch geguckt, was da los ist, und was man da als Verein machen kann.

Was waren denn Ihre wichtigsten Erkenntnisse?

Man rennt als europäischer Verein überall in Afrika offene Türen ein. Es ist gar nicht zwingend notwendig, dort Millionen zu investieren und eine eigene Akademie zu betreiben, wie es zum Beispiel Feyenoord Rotterdam macht. Es ist viel wichtiger, ein Kontaktnetz aufzubauen, um die interessanten Spieler früh kennen zu lernen. Fast alle afrikanischen Spieler in der Bundesliga sind vorher in der Schweiz, in Österreich und Belgien aufgefallen. Kaum jemand wagt es bei uns, die Spieler direkt aus Afrika zu holen. Der SC Freiburg ist da eine Ausnahme.

Es gibt Fälle, in denen dubiose Instanzen an solchen Transfers mitverdienen wollen – bis hin zum Vorwurf des Menschenhandels. Wie kann man ein sozial verantwortliches Handeln sicherstellen, wenn man Nachwuchsspieler aus Afrika engagiert?

Indem man es zum Beispiel nicht so macht, wie es häufig in Belgien Mitte der 90er Jahre passiert ist, dass man sich von einem Spielervermittler eine Busladung mit 20 jungen schwarzen Spielern vorbeikarren lässt, sich einen rauspickt, den in irgendeine Wohnung steckt und sich nicht weiter um ihn kümmert. Und die anderen 19 der Illegalität überlässt. Wenn man einen afrikanischen jungen Spieler direkt verpflichtet, muss man ihn und seinen Hintergrund gut kennen. Man muss verstehen, was es für einen Druck für so einen jungen Mann bedeutet, als Hoffnungsträger der gesamten Familie in den gelobten Westen zu gehen.

Aus Ihrer Afrika-Mission hat sich Ihre neue Tätigkeit als Nachwuchschef entwickelt. Welche neuen Akzente werden Sie da setzen?

Grundsätzlich führen wir das alte Konzept fort, aber der HSV ist insofern ein Sonderfall, dass es diesen strukturierten Nachwuchsbereich mit dem Aufwand erst seit sechs, sieben Jahren gibt. Da haben Vereine wie Werder Bremen oder der VfB Stuttgart einen Vorsprung. Ich finde, dass in diesen Jahren beim HSV schon viel passiert ist. Die Durchlässigkeit ist größer geworden, ein paar Spieler sind ja auch schon oben angekommen, wie Sidney Sam, Änis Ben Hatira, Eric-Maxim Choupo-Moting.

Wo sehen Sie denn noch Nachholbedarf?

Bei der Betreuung der Zwischenspieler. Die sind bei der 2. Mannschaft schon aufgefallen und trainieren ein paar Mal die Woche schon in der 1. Mannschaft mit. Wenn sie noch A-Jugend spielen können, nehmen sie noch an Auswahlmaßnahmen teil. Die Jungs stehen ein bisschen im Nichts. Die in ihrer Entwicklung zu unterstützen, ist ein wesentlicher Teil meiner Arbeit.

Gibt es einen Plan B für junge Spieler, die nicht den großen Sprung zum Profi schaffen?

Natürlich ermutigen wir unsere Spieler, die Schule zu beenden und eine Ausbildung zu machen. Sie wissen, dass sie hier gute Möglichkeiten haben, ihr Talent zu entwickeln, aber die Wahrscheinlichkeit, Profi zu werden, eher gering ist.

Was braucht denn ein junger Spieler außer Talent, um es nach oben zu schaffen?

Ein ganz wesentlicher Punkt ist der Wille. Die 400 Spieler in der Bundesliga sind nicht die 400 talentiertesten Spieler.

Mit Rudolfo Esteban Cardoso, Richard Golz und Ihnen gibt es ja jetzt eine kleine Freiburg-Connection in der Nachwuchsarbeit beim HSV. Bringen Sie da auch etwas vom Freiburger Stil mit rein?

Ich habe das Glück, bei drei Vereinen gespielt zu haben, die eine exzellente Jugendarbeit haben: Freiburg, Werder und der VfB Stuttgart. Da hatte ich zwar nicht immer den direkten Einblick, trotzdem nimmt man davon eine Menge mit.

In Freiburg scheint es ja auch immer etwas lockerer und familiärer zuzugehen als anderswo. Kann man so eine Umgangsweise mitnehmen?

Aus der Entfernung wirkt Freiburg immer so idyllisch. Die sind deutscher A-Jugend-Meister geworden, das schaffen Sie nur mit harter Arbeit.

Sie haben erwähnt, dass eine Reihe junger Spieler bereits zum Profikader gehören. Unter Huub Stevens kamen sie aber nur sehr sporadisch zum Einsatz. Ist der Zugang für weitere Nachwuchsspieler im Moment nicht ziemlich versperrt?

Der Zugang ist unheimlich schwer, der HSV ist eben kein Zweitligist, sondern ein Bundesliga-Verein mit internationalen Ansprüchen. Aber wenn einer dann Mitglied im Kader ist, hat er schon sehr viel erreicht. Wenn er dann den nächsten Schritt nicht gleich schafft und zwei Jahre kaum spielt, muss er sich die Spielpraxis vielleicht woanders holen. Umwege wird es immer mal geben.

Fotohinweis:JENS TODT, 37, absolvierte von 1992 bis 2003 208 Bundesligaspiele. Unter anderem für Werder Bremen (Foto: im Zweikampf mit Heiko Herrlich (r.) im Jahr 1997). 2004 wechselte er in den Journalismus: als Volontär und Redakteur bei Spiegel Online. Kündigte dort 2007, hospitierte bei HSV-Sportdirektor Didi Beiersdorfer. Seit Juni ist er Leiter der Nachwuchsabteilung des HSV. FOTO: DPA