Grüne: Politrentner abschalten!

Exchef der Hessengrünen Hubert Kleinert will über Laufzeiten der AKW diskutieren. Grünen-Führung ist genervt. Parteichef Bütikofer: Bitte keine Einmischungen „ehemaliger grüner Granden aus dem Off“. Trittin und Höhn: Kleinert hat keine Ahnung

VON ULRIKE WINKELMANN

Sage niemand, Altgrüne hätten ein Monopol auf zugespitzte Formulierungen. „Joschka, Hubert, Boris – ein Chor von Medienhuren“ überschreibt das Grünen-Parteiratsmitglied Julia Seeliger, 29, ihren Blog-Kommentar zum Bericht über die Energiepolitik der Grünen im aktuellen Spiegel.

Darin sagt der hessische ehemalige Grünen-Politiker Hubert Kleinert, die Grünen sollten lieber doch über eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke diskutieren. Kleinert setzt damit das Argument der jüngst aus der Partei ausgetretenen Exstaatssekretärin Margareta Wolf fort, die die grüne Energiepolitik als „Volksverdummung“ schalt: Man könne nicht gleichzeitig aus Kohle und Atom aussteigen.

Nicht nur Kleinert, sondern auch Grünen-Patriarch Joschka Fischer und der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer wollten die grüne Parteilinie mithilfe der Medien aufweichen, lautet nun Seeligers Vorwurf. Dies aber diene bloß dazu, die Option einer Koalition mit der CDU „trotz eines auf Atompolitik polarisierten Wahlkampfes 2009“ zu retten, schreibt sie.

Ganz so offen mag von den Führungsgrünen keiner über die Motivationslage ausgestiegener Grünenpolitiker wie Kleinert oder Fischer reden. Der Tübinger OB Palmer ist nicht nur jung, sondern sowieso ein eigenes Kapitel. Doch wächst auch bei den Grünen langsam ein Club alternder Herrschaften heran, die keine Lust auf Parteitage oder Gremien haben, gleichwohl aber den Kurs der Partei mit steuern wollen. Ein Umgang mit ihnen muss da noch gefunden werden.

So beschränkt sich Fischer in seiner montäglichen Onlinekolumne zwar meist auf die große Weltaußenpolitik. Doch grübeln gerade solche Journalisten, die dem Charismatiker immer noch hinterhertrauern, gerne auch über seine Halbsätze nach. Schrieb Fischer nicht jüngst, ein neuer Energiekonsens sei nötig, „aber nicht um die alten Schlachten um die Atomenergie zu schlagen“, sondern um eine Effizienzrevolution herbeizuführen? Ist das nicht auch ein bisschen Laufzeitverlängerung?

Keinesfalls, meint etwa Cem Özdemir, Kandidat für den grünen Bundesvorsitz. In Sachen Atom gebe es bei Fischer kein Zucken oder Rütteln. Mit Kleinert dagegen „muss man erst einmal reden“, sagt er.

Darauf hat der scheidende Grünenchef Bütikofer sichtlich keine Lust mehr. Seine Botschaft an den Politologieprofessor, der zwar mit Fischer in den 1980er-Jahren bei den Grünen aufstieg, dann aber in dessen Schatten auch bald wieder versank, ist schroff: Kleinerts Aussagen „sind Ratschläge eines ehemaligen grünen Granden aus dem politischen Off. Das muss man vielleicht aushalten, aber nicht zu ernst nehmen“, erklärte Bütikofer am Montag. „Grüne Politik wird nicht von Kommentatoren an der Seitenauslinie gemacht.“

Der Exumweltminister und Bundestagswahl-Spitzenkandidat Jürgen Trittin sagte zur taz: „Es ist immer problematisch, wenn sich ein emeritierter Politiker zu aktuellen Fragen äußert. Auch als grüner Politikprofessor ist man nicht immer auf der Höhe der aktuellen Diskussion.“ Schließlich sei eine Laufzeitverlängerung für moderne Kraftwerke sowieso möglich. Dazu müsse nur die Laufzeit von einem veralteten auf ein neues AKW übertragen werden. „Es geht um die Verlängerung der Laufzeiten der drei am meisten veralteten und störanfälligen Reaktoren“ – Biblis, Brunsbüttel und Neckarwestheim, erklärte Trittin. „Da sollte man nicht naiv dran vorbeireden.“

Auch die Fraktionsvizechefin Bärbel Höhn hob darauf ab, dass Kleinert keine Ahnung habe: „Kleinert ist in der Diskussion zur Energiepolitik in den letzten Jahren nicht in Erscheinung getreten“, sagte Höhn zur taz. „Keiner der grünen Leistungsträger denkt über eine Laufzeitverlängerung nach.“ Höhns Vermutung, was Kleinert antreibe: „Er braucht so eine Nachricht offenbar, um überhaupt noch in der Presse zu erscheinen. Er hat das offenbar nötig.“

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