Der reiche Obdachlose

Mit Spekulationsgeschäften hat Nicolas Berggruen Milliarden verdient. Das Vermögen gibt er in Berlin aus

Bis vor einem Jahr war Nicolas Berggruen ein Phantom. Obwohl er mit Reisfarmen in Kambodscha, Windmühlen in der Türkei und allerlei Risikokapitalgeschäften bereits ein Milliardenvermögen verdiente, stand er nicht auf der Forbes-Liste der Reichsten der Reichen. Doch dann starb im März vergangenen Jahres sein Vater, der Kunstsammler Heinz Berggruen. Plötzlich tauchte Nicolas Berggruen aus dem Incognito auf – das Phantom bekam ein Gesicht.

55 Immobilien in Berlin hat der 46-Jährige in jüngster Zeit gekauft – im Schnitt zwei Häuser pro Monat. Und das soll auch so weitergehen, sagt seine persönliche Referentin im Berliner Sitz der Berggruen Holdings, Ute Kiehn. „Nicolas Berggruens Engagement gilt nicht nur dem Berliner Immobilienmarkt, sondern auch der Stadt seines Vaters.“ Dieses Engagement ist tatsächlich ohnegleichen. Neben der Sanierung des Gewerbehofs in der Kohlfurter Straße (Text oben) wird derzeit das Kommandantenhaus in Charlottenburg umgebaut, um die Ausstellungsfläche für die Berggruen-Sammlung zu erweitern. Nicolas Berggruen hat auch das legendäre Café Moskau an der Karl-Marx-Allee gekauft, das im April 2009 denkmalgerecht saniert wieder öffnen wird. Vor allem aber will Berggruen seine eigene Kunstsammlung in Berlin ausstellen. Derzeit laufen Verhandlungen mit dem Liegenschaftsfonds über ein Grundstück am Hamburger Bahnhof. Nicht nur mit seiner Sammlung zeitgenössischer Kunst, sondern auch mit der „aufregenden Architektur eines internationalen Stararchitekten“, so seine Referentin, will er dort ein Zeichen setzen.

Nun ist das mit dem Zeichensetzen so eine Sache in Berlin. Was Berggruen von den meisten Investoren unterscheidet, ist sein langer Atem. „Keine der Immobilien wird mit einem Bankkredit finanziert“, sagt Ute Kiehn. Soll heißen, Berggruen kauft sie aus seinem Privatvermögen. Und das beläuft sich inzwischen auf geschätzte 3 Milliarden US-Dollar, wie das Wall Street Journal kürzlich in einer Homestory über den „obdachlosen Milliardär“ enthüllte.

Denn noch etwas ist besonders am Leben des neuen Berlin-Mäzens: Die Luxuswohnung in New York, den Landsitz in Florida, die Edelkarosse – all das hat er verscheuert. „Materielle Werte bedeuten mir nichts“, bekannte er dem Wall Street Journal und verriet, dass er seitdem in Hotels lebe, manchmal an bis zu 80 Städten pro Jahr. Seinen Job erledigt er in Restaurants oder mit dem Blackberry beim Speed Walking im Central Park.

In gewisser Weise ist die Wandlung vom Spekulanten zum nachhaltigen Investor eine Art „back to the roots“. In seiner Schulzeit war der in Paris geborene Nicolas Berggruen bekennender Anarchist. Mit 15 flog er vom Internat. Englisch hat er erst später gelernt, weil es die „Sprache der Imperialisten“ war. Doch dann musste er mit 19 auf eigenen Füßen stehen, der Vater hat es so gewollt. Also hat er sich 2.000 Dollar geborgt und in eine kleine Immobilie in Brooklyn investiert. Die Tellerwäschergeschichten gibt es also immer noch, zumindest in den USA.

Und in Berlin? Hier heißt die Devise offenbar nicht schnelles Geld, sondern „Charakterimmobilien“. Nicht nur in der Kohlfurter Straße will Berggruen einen Gewerbehof zusammen mit den Nutzern weiterentwickeln, sondern auch in den Sarotti-Höfen am Mehringdamm.

Ein Phantom ist er immer noch. Den nächsten offiziellen Termin in der Stadt hat Berggruen im Juni 2009. UWE RADA