Lebt Mladić?

BELGRAD taz ■ Der ebenfalls wegen Kriegsverbrechen gesuchte Exgeneral Ratko Mladić war ab 1992 vier Jahre lang Kommandant der serbischen Truppen in Bosnien. Er wird unter anderem für den Völkermord in Srebrenica verantwortlich gemacht. Die ganze Zeit über wurde er in Belgrad als Angehöriger der damals noch jugoslawischen Armee geführt und erst 2001 in den Ruhestand versetzt. Bis 2002 lebte der Mann völlig unbehelligt und bezog seine Rente. Auch nachdem er untertauchte, wurde das Geld bis April 2006 an einen Vertrauensmann ausbezahlt.

Im März 1994 hatte seine Tochter Anna, Studentin der Medizin, Selbstmord begangen. Die zuverlässigsten Angaben über Mladić in den letzten Jahren gab Dr. Zoran Stanković, Chefpathologe, danach Leiter der Militärklinik in Belgrad, kurze Zeit auch Verteidigungsminister Serbiens, bekannt: „Ich habe Ratko Mladić die Leiche seiner Tochter, die ich obduziert habe, übergeben.“ Stanković erzählt, der General sei in die Knie gefallen und habe Schminke auf das Gesicht des toten Mädchens aufgetragen.

Wo sich Mladić tatsächlich seit 2002 aufhält, ist derzeit aber unklar. Die Gerüchteküche hat viele Thesen aufgestellt, unter anderem, dass er sich im für Tito gebauten Luftschutzbunker in Belgrad aufhielt und zwei vor dem Notausgang stehende Soldaten der Garde erschossen wurden, weil sie ihn erkannt hatten. Dr. Stanković ging mit der Behauptung in die Öffentlichkeit, Mladić könne nie verhaftet werden, er werde sich selbst richten.

Es wird für möglich gehalten, dass der Nierenkranke Mladić gestorben ist, Selbstmord begangen hat, sogar, dass ihm seine Freunde dabei geholfen haben. Wenn er unerkannt begraben ist, bleibt er für seine Anhänger der unauffindbare Held, dessen Mythos man aufrechterhalten kann.

Studenten der Juristischen Fakultät in Belgrad stellten am 31. Oktober 2006 den Antrag, Mladić für tot zu erklären, weil ihn seit mehr als zwei Jahren niemand gesehen habe. Das zuständige Gericht lehnte eine Entscheidung mit der Begründung ab, nur die nächsten Familienangehörigen seien zu so einem Antrag berechtigt. ANDREJ IVANJI