: Vorsicht, wenn M30 mixt
Nir de Volff hat sich als Tänzer und mit eigenen Produktionen den Ruf des Wilden erworben. Im Dock 11 inszeniert er ein Tanzstück als kleine Geschichte eines großen Genres: „Believe it or not!“ streift 50 Jahre Science-Fiction-Geschichte
Science Fiction ist auch nicht mehr, was es mal war. Was sind die größten Zukunftsängste einer jungen Frau, die in ihrer rot glänzenden Jacke, die langen Beine mit den roten Rollschuhen an den Füßen unter sich eingeschlagen, auf dem Boden hockt?
Was macht man nur, wenn man alt wird, fragt sie verzagt ins Publikum im Dock 11, in den Jahren zwischen achtzig und hundert? Außer lesen, fernsehen und essen? Es ist wohl die Angst vor dem völlig unspektakulären Trübsinn, die ihren Blick in die Szenarien des Science Fiction lenkt. Aber auch da sind längst nicht mehr die Abenteurer und Weltenretter der früheren Epochen angesagt, sondern – Sie müssen jetzt sehr tapfer sein – die Herrschaft der Teletubbies. Groß, gelb, hüpfend, schlurfend und quietschend gehört ihnen der letzte große Auftritt in der Show „Believe it or not“, die angetreten ist, 50 Jahre der Schreckensszenarien des Kinos zu durchqueren und die „Körper von der Leinwand zurück in den dreidimensionalen Raum“ zu holen.
Das ist viel, was sich die Gruppe von fünf Performern um den Tänzer und Choreografen Nir de Volff da vorgenommen hat. Nir de Volff, der aus Israel stammt, hat sich den Ruf des Wilden in Berlin zuerst als Tänzer in der Truppe von Constanza Macras erworben und dann mit eigenen Stücken im Dock 11 fortgeschrieben, die unter anderem das Schaf Dolly und die Funktion der Scham in der Spaßgesellschaft zum Thema hatte. Sein 2004 gegründetes eigenes Label heißt „Total Brutal“, und 2009 erhält er erstmals Basisförderung vom Berliner Senat. Das sind vielversprechende Signale, die auf sein neuestes Stück ebenso neugierig machten wie die Ankündigung.
Jetzt ahnt man schon, dass die Erwartungen nicht ganz erfüllt wurden. Sei es, weil die Performer nicht über die Bühnenpräsenz eines Nir de Volff verfügen, der diesmal zwar Konzept und Choreografie verantwortete, aber nicht mittanzte, sei es, weil die Auseinandersetzung mit dem Science Fiction doch sehr im Stadium spielerischer Skizzen verblieben war. Vielleicht nicht zuletzt auch deshalb, weil die Materialschlachten des Genres die reale Physis des menschlichen Körpers inzwischen so völlig negieren, dass jede Bühnenkostümierung als Außerirdischer oder Weltraumreisender immer wie eine lächerliche Karikatur wirkt.
So lagen die Stärken des Stücks im Albernen und völlig Unheroischen. Das erste Kapitel der knapp einstündigen Produktion galt den Robotern, dem Traum von der Maschinenhilfe, die aber immer sofort aus dem Ruder läuft. Es ist sehr niedlich anzusehen, wie fliegende Untertassen herumgetragen werden und Milena Dreissig als M30 mit nicht ganz ausgewogener Feinmotorik Mixer und Staubsauger in Instrumente der Zerstörung verwandelt. Der Übergang zur Zeit der Hard Bodies der Alienbekämpfer wird mit einem dumpfen Boing eingeleitet, das der Zusammenstoß einer Plastikwasserflasche mit einem Kopf ergibt.
Diese Ideen, mit Low Tech den ganzen Kulissenaufwand des Genres zu unterlaufen, sind ein guter Ansatz. Allein, was dann bewegungstechnisch auf die Schlachten im All verwies, ein autoaggressives Rollen über den Boden, ein unbegründeter Wechsel zwischen Aneinanderklammern und Aufeinanderhauen, sah dann doch sehr schlicht und unterkomplex aus.
Oder ist das etwa am Ende doch die ganze, aus dem Genre herausgepulte Essenz, die übrig bleibt, wenn man bloß Körper und Musik und weiter keine Mittel zur Verfügung hat? Okay, ein klein wenig ins Grübeln kam man dann am Ende doch, dass das Lachen und Kichern noch nicht alles gewesen war.
KATRIN BETTINA MÜLLER
„Believe it or not“, Dock 11, Kastanienallee 79, bis 27. Juli, jeweils 20.30 Uhr
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