Leben im Widerstand

Libertas Schulze-Boysen gehörte während des Nationalsozialismus zur Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“. Die Journalistin Silke Kettelhake erzählt sehr anrührend die widersprüchliche Geschichte dieser Frau, die im Alter von 29 Jahren hingerichtet wurde

VON ANJA MAIER

Libertas – Freiheit – welch schöner, inspirierender Frauenname. Libertas Schulze-Boysen aber, die von ihrem Vater, einem Couturier, diesen Namen bekommen hatte, war beides: ganz frei in ihren Vorstellungen und zugleich Gefangene ihrer Wünsche von einem erfüllten Leben. Die Journalistin Silke Kettelhake ist den Spuren dieser ungewöhnlichen Frau, jener ganz und gar gebrochenen Persönlichkeit, gefolgt. „Erzähl allen, allen von mir! Das schöne kurze Leben der Libertas Schulze-Boysen 1913–1942“ heißt ihr bei Droemer erschienenes Buch.

Libertas Schulze-Boysen wird in der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts vor allem als Ehefrau von Harro Schulze-Boysen erwähnt, dem Vordenker der „Roten Kapelle“. Die Nazi-Widerstands-Gruppe, der etwa 150 Menschen unterschiedlicher Herkunft angehörten, wurde von der Gestapo so genannt. Der Freundeskreis der Schulze-Boysens und des Wirtschaftswissenschaftlers Arvid Harnack war einer der wichtigsten in einem großen Geflecht von Aufrechten, deren persönliche Überzeugungen vom Menschsein durch Hitlers Politik infrage gestellt wurden. Sie verfassten und verbreiteten Flugblätter, hörten „Feindsender“ ab oder spionierten für die Sowjetunion. Die Sache flog auf, in einem Geheimprozess wurde über elf von ihnen das Todesurteil verhängt und in Berlin-Plötzensee vollstreckt. Sterben musste an jenem 22. Dezember 1942 auch Libertas Schulze-Boysen. Sie war gerade 29 Jahre alt geworden.

Als sie zum Fallbeil geführt wird, betet und weint sie. „Lasst mir doch mein junges Leben!“ schreit sie, ein Wachtmeister hält ihr mit einem Handtuch den Mund zu, bis das Beil fällt. Libertas, Kind einer brandenburgischen kaisertreuen Landadelsfamilie, geht nicht heldenhaft in ihren Tod. Bis zum Schluss hat sie gehofft, dass das Schicksal ihr, der Glücklichen, Freien, Begabten, noch zur Seite springen würde. Denn was hatte sie schon getan? Sie war ihrem Gewissen gefolgt. Und ihrem Mann, dem Oberleutnant im Reichsluftfahrtministerium, der - liest man Kettelhakes Buch aufmerksam - geradezu fahrlässig seine hitlerkritische Gesinnung verbreitete, gefährlich naiv überzeugt, jeder denkende Mensch müsse dieses System verabscheuen. Dass sich Millionen längst gut damit arrangiert hatten, hätte ihm, der selbst im Luftfahrtministerium die Karriereleiter stetig emporkletterte, klar sein können.

Seine Frau, die schöne Libertas, folgt ihm. Selbst dann noch, als nach wenigen Jahren ihre Ehe zerbricht. Beide haben Liebhaber, beide sind traurig über das persönliche Scheitern, aber die illegale Arbeit, die verrichten sie weiter gemeinsam. Ihr Freund, der Schriftsteller Günther Weisenborn, wird nach dem Krieg über diese Phase in ihrem Leben schreiben: „Sie wollte leben. Sie wollte nicht mehr illegal arbeiten, aber sie konnte Harro nicht im Stich lassen. Sie hat fünf Jahre treulich für ihn gearbeitet, und auf jede einzelne dieser Arbeiten stand der Tod.“

Als das Ende naht, hatten sich ihre Wege längst getrennt. Einsam und tief depressiv wartet die 28-Jährige in der Berliner Wohnung auf das Klopfen der Gestapo, draußen herrscht Krieg. In der Untersuchungshaft wird sie schließlich auf traurige Art mit ihrer Widerstandsbiografie brechen: Sie gesteht und belastet weitere Mitglieder der Gruppe schwer. So glaubt sie sich vor der Guillotine retten zu können. Ein schwieriger Moment in Kettelhakes Buch, ein Irrtum, der fassungslos macht und den die Autorin auf sehr einfühlsame Weise abbildet.

Die Freundin Marta Husemann urteilt nach dem Krieg über Libertas Schulze-Boysen hart: „Ein Mensch, den man niemals in die illegale Arbeit hätte einweihen dürfen. Keine bewusste Verräterin. Aber durch ihre maßlose Eitelkeit leicht zum Sprechen zu bringen.“

Eitel, ja. Aber auch lebenshungrig und von den Mitstreitern schon lange zuvor verstoßen, von ihrem ehrgeizigen Ehemann gar nicht zu reden. Eben ein Mensch.

Silke Kettelhake: „Erzähl allen, allen von mir! Das schöne kurze Leben der Libertas Schulze-Boysen – 1913–1942“. Droemer, München 2008, 432 Seiten, 19,90 Euro