Ein Tänzeln am Rande des Vulkans

Ein Beziehungsvertrag als Absage ans Naziregime: Victoria Wolffs Roman „Die Welt ist blau“

Anlässlich des 100. Geburtstages von Victoria Wolff am 10. Dezember 2003 erinnerte kein Artikel an Leben und Werk dieser zu Unrecht vergessenen Autorin, die 1933 Deutschland verlassen und in die Schweiz nach Ascona emigrieren musste. Dort entstand ihr Buch „Die Welt ist blau“, das im selben Jahr als Fortsetzungsroman in der NZZ abgedruckt wurde – und nun zum Glück wiedererschienen ist.

Unterhaltsam nimmt dieser Roman die Leser mit auf eine Reise eines verliebten Paares in die Sommerfrische in Ascona; „diese Reise […] soll Einsicht bringen und Entscheidung“, meint dazu die Erzählerin. Ursula Eisenlohr ist Anfang 20, bereits studierte Agrarwissenschaftlerin, optimistisch, vital, weltoffen, mit einem „kräftigen Willen“ ausgestattet und nach der Devise „Heute nicht weiter denken, heute nur freuen“ lebend; eine Ähnlichkeit mit dem Typus der Frau der Neuen Sachlichkeit ist nicht zu übersehen.

Das männliche Pendant hingegen, der Rechtsanwalt Peter Mack, ist skeptisch, unbeholfen, gehemmt, gehetzt und „lässt sich vom Beruf tyrannisieren“. Unterschiedlicher und gegensätzlicher also könnten die Charaktereigenschaften wie Temperamente der beiden nicht sein, doch „Hetze und Freude ist gar nicht wie Äpfel und Birnen, die sich nicht zusammenzählen lassen. Man muss nur den gemeinsamen Nenner finden.“

Auf der Suche nach diesem Nenner wird das Spiel zwischen Vertrauen und Eifersucht, Nähe und Distanz wie Bindung und Autonomie inszeniert und belebt. Beide sind Versuchungen und Gefühlsverwirrungen ausgesetzt, die zu einer Belastungs- wie Bewährungsprobe ihrer noch fragilen Beziehung werden: sie in Gestalt des galanten Zauberers und Charmeurs Hubert von Reuchlin als „grande Illusionista“, der sich später als „ein ganz gewöhnlicher Schwindler“ demaskiert, er in Gestalt einer glamourösen Femme fatale namens Gabriele Schilling, die erkennt, dass aus ihrem Flirt keine heiße Affäre werden wird.

Beide widerstehen den Verlockungen, verlassen das mondäne Ascona, schließen in der Stille und Abgeschiedenheit des Luftkurorts Bignasco im Maggiatal einen dem Geiste Nietzsches verpflichteten Beziehungsvertrag und versprechen sich ausdrücklich „Offenheit“, „Einsicht“ und „Menschlichkeit“. In diesen Beziehungsvertrag lässt Ursula einen weiteren Paragrafen aufnehmen, dem der Roman seinen Titel verdankt: „Also ich fordere, dass die Welt blau ist, auch wenn sie grau scheint, muss sie blau sein […]!“

Leicht könnte der Roman in den Verdacht der Trivialität geraten, wären da nicht die filigranen Andeutungen und Anspielungen, die die private Beziehung in den Kontext der politischen Entwicklung im Deutschland des Jahres 1933 rücken. Zeichen der Zeit fließen ein, wenn es heißt: „Lassen wir das Tiefland, Peter, das Primitivland, wir wollen es vergessen.“ Was sich ebenso wenig einlösen lässt wie der Vorsatz, nicht von Politik zu reden.

Auf der Fahrt ins Tessin besuchen sie Ursulas Schulfreundin Mausi Öchsler, die ihrem Vornamen als engstirnige und langweilige graue Maus gerecht wird, sich im Monologisieren und in der tradierten weiblichen Rolle als Nurhausfrau wie Nurmutter gefällt, ein Frauenbild, wie es die Nationalsozialisten favorisieren: Zum Abschied „winkt Mausi mit dem Zipfel ihrer Schürze“, den die beiden „wie eine Befreiung aus der Niederung des unzulänglich Menschlichen“ empfinden.

Dieses Unzulängliche, symbolisiert im repressiven System der Nationalsozialisten, lässt den von den Protagonisten geschlossenen Beziehungsvertrag und seine Heiligsprechung – „Wenn wir uns je einmal heiraten sollten, wird dieser Vertrag als Andacht vorgelesen werden“ – in einem anderen Licht erscheinen; er ist als ein Aufruf an die Humanität zu verstehen, als eine Abkehr von „Hass“, „Lüge“, „Bosheit“ und „Rache“ und als Absage an die Uniformität eines menschenverachtenden Regimes.

Dem AvivA Verlag ist zu danken, dass er dieses einnehmend geschriebene wie nachdenklich stimmende und mit historischen Aufnahmen wie einem Landkartenausschnitt versehene Buch der Öffentlichkeit wieder zugänglich macht. Das aufschlussreich, gelegentlich bemüht und in dieser Ausführlichkeit etwas belehrend wirkende Nachwort der Herausgeberin Anke Heimberg lässt mitunter den Eindruck entstehen, als traue sie nicht so recht der Kraft des Textes wie der konzentrierten Aufmerksamkeit des Lesers. CHRISTIANA PUSCHAK

Victoria Wolff: „Die Welt ist blau. Ein Sommer-Roman aus Ascona“. AvivA Verlag, Berlin 2008, 224 Seiten, 18 Euro