DER RECHTE RAND
: Alles Verbrechers!

Dass Rote manchmal als Grüne und Grüne gelegentlich auch als Rote wahrgenommen werden wollen, kannte man ja schon aus der Politik. Und wenn man genau hinschaut, sind es bei diesen Farbspezifikationen am Ende doch immer nur graue Mäuse, die sich ein bisschen Pulverspray des Tages über die Haare gepustet haben. Bei Hannover 96 immerhin hatte das über Jahre verfolgte Marketing Spuren hinterlassen und so definierten sich Fans gelegentlich auch schon mal als Rote – selbst wenn sie ansonsten Zugehfrau bei MP Christian Wulff waren. Kommando zurück heißt es jetzt: Hannover 96 will der Mittelmäßigkeit in der kommenden Saison unter grüner Etikettierung entgehen und die armen Anhänger müssen ihr komplettes Merchandising-Outfit in den Altkleidersack geben, wenn sie sportmodisch up to date bleiben wollen. Warum lassen Menschen sowas mit sich machen? Und wie soll Hannover 96 unter solchen Umständen jemals Religion werden? Was sagt der schlichte Fußballfreund dazu beim Zweikilo-Rieseneisbein mit Erbspüree in der nach dem Berufsringer Max Walloschke benannten Traditionsgaststätte? „Alles Verbrechers!“, sagt er. Und selbst schräg gegenüber in der „SansiBar“ der örtlichen Hells Angels heißt es streng: „Für mich sind die tot. Reineweg tot.“

Ist es nicht rührend, dass ein Profi wie Diego seinen Bremer Arbeitgebern in die Dalai-Lama-Suppe rotzt und einfach so zu seinen brasilianischen Kumpels fährt – in der Hoffnung, mit denen auffem Platz auflaufen zu dürfen beim olympischen Kicken? Die darob verärgerten Werderaner sollten sich des alten Liedes erinnern, in dem es so schön heißt: „Wer im Stich lässt seinesgleichen / Lässt doch nur sich selbst im Stich!“

Ich will den gut meinenden Antirassisten in Bremen und Hannover keineswegs vorhalten, dass sie gegen eine fiese Türpolitik bei ihren lokalen Zappelbuden-Betreibern anstänkern, mit denen Süd- und andere Fremdländer am Balztanz gehindert werden – meine aber zugleich, dass man auch als schwach Pigmentierter im flotten Konfirmandenanzug sich gar nicht erst auf Situationen einlassen sollte, bei denen man von professionellen Totschlägern an der Rampe selektiert wird, damit die Herren Event-Gastronomen ihre Goldkettchen verlängern lassen können und die Rolex aus dem Thailand-Urlaub endlich gegen eine echte Lange eintauschen. Wer sich als Aas anbietet, den erwischt halt der Geier.

Mehrfach habe ich mich in den vergangenen zwei Jahren durch skrupellose Billigflieger zu kleinen Fluchten nach Warschau, London oder anderswo verleiten lassen und die dagegen aufmuckende Öko-Seele in mir mit Argumenten bewusstlos geschlagen. Erst das Eingreifen der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer aber hat mich daran gehindert, meiner eigenen Schwachheit aufs Neue zum Opfer zu fallen. Dafür danke ich den Streikenden mit einem kraftvollen „Which side are you on“, und träume von Joe Hill und einer norddeutschen Welt, in der Mücken, fränkische Firmengruppen und Inbev’sche Bierpanscher nichts zu sagen haben – und wer sich heute tätowieren lassen möchte, sollte sich doch lieber einen schwarz-roten Stern auf den Pöter stechen lassen als ein Dienstsiegel der Innerlichkeit. Meint voller Überzeugung ULRICH „Woody“ REINEKING

ULRICH REINEKING, Journalist und Kabarettist, möchte nun aber nicht ständig an alte Verfehlungen erinnert werden.