Liberalisierungsrunde vor dem Aus

Gespräche führten bislang zu keiner Einigung. Hinter den Kulissen überlegt man, die WTO-Runde zu vertagen

GENF taz ■ Die Genfer WTO-Verhandlungen standen am Freitag kurz vor Redaktionsschluss vor dem ergebnislosen Abbruch. Nach tage- und nächtelangen Marathonverhandlungen ohne substanzielle Fortschritte hatte WTO-Chef Pascal Lamy den Unterhändlern gestern Morgen noch eine Frist von maximal 24 Stunden gestellt. In dieser Zeit sollen sich die Vertreter auf Modalitäten für den Abbau von Argrarsubventionen und Agrarzöllen in den Industriestaaten sowie von Importhindernissen für Industriegüter in Schwellen- und Entwicklungsländern einigen.

Als letzte Handlungsoption, die dem WTO-Generaldirektor zur Verfügung steht, hatte Lamy am Donnerstagabend eigene Kompromissvorschläge unterbreitet. Doch auch diese Vorschläge wurden von verschiedenen Seiten als entweder zu weit gehend oder als unzureichend ablehnt. Unter anderem schlug Lamy einen Abbau der Agrarzölle in den Industriestaaten um 70 Prozent vor. Während Handelsdiplomaten von Schwellen- und Entwicklungsländern diesen Vorschlag als „Fortschritt, der allerdings noch nicht ausreicht“, bewerteten, wurde er vom Bundesagrarministerium in Berlin gestern abgelehnt. Minister Horst Seehofer (CSU) erklärte, es bleibe bei dem Angebot einer Zollsenkung von 54 Prozent, das die EU vor Beginn der Genfer Verhandlungsrunde unterbreitet hatte.

Größter Streitpunkt hinsichtlich des Abbau von Importhürden für Industriegüter in den Schwellen- und Entwicklungsländern ist neben der Höhe der von EU, USA, Japan und Kanada verlangten Zollsenkungen die Forderung nach einer „Antikonzentrationsklausel“. Eine solche Klausel in einem künftigen WTO-Abkommen würde China, Indien, Brasilien und anderen Schwellenländern die bisherige Praxis unmöglich machen, ganze Produktlinien von Zollsenkungen auszunehmen. Indien lehnt eine solche Klausel strikt ab.

Am Mittwoch hatte Lamy die am Montag zunächst von 30 der 153 WTO-Staaten begonnenen Verhandlungen in eine noch exklusivere Gruppe aus EU, USA, Japan, China, Indien, Brasilien und Australien verlegt. Diese Entscheidung stieß bei ausgeschlossenen Staaten auf erhebliche öffentliche Kritik. Unter anderem bei der Schweiz, deren Positionen sich allerdings in der Agrarfrage mit denen von Japan decken und bei den Industriegütern mit den Positionen von EU und USA. Scharfe Kritik kam auch von der Gruppe der afrikanischen WTO-Staaten. Selbst wenn die G 7 wider Erwarten eine Einigung erzielen sollte, ist damit keineswegs gesichert, dass diese auch von allen übrigen WTO-Staaten abgesegnet würde. Theoretisch könnte die Genfer Runde noch bis zum 31. Juli laufen. Hinter den Kulissen wurde gestern bereits über eine Verschiebung auf das Frühjahr 2009 diskutiert, nach Amtsantritt des neuen US-Präsidenten.