Baufirmen verweigern den Mindestlohn

Laut einer Studie unterläuft jede dritte Berliner Baufirma den gesetzlichen Mindestlohn, indem sie Vollzeit schuftende Arbeiter als Teilzeitkräfte abrechnet. Die Gewerkschaft befürchtet, dass solchen Praktiken schwer beizukommen ist

Mehr als jeder dritte der rund 1.800 mittelständischen Berliner Baufirmen steht im Verdacht, sich nicht an den Mindestlohn zu halten. Dies ergibt eine aktuelle Auswertung der Sozialkasse für das Berliner Baugewerbe. Dietmar Witt, Geschäftsführer der Sozialkasse, sagte dem Tagesspiegel am Sonntag, die erhobenen Daten zu Arbeitszeiten und Löhnen der gemeldeten Bauarbeiter zeigten, dass in rund 35 Prozent der Betriebe weniger als die Hälfte der tariflichen Arbeitszeit gearbeitet werde. Demnach müsste eine große Zahl der etwa 16.000 Berliner Bauarbeiter nur Halbtagsstellen haben. Teilzeit existiere am Bau aber nur in der Theorie, wie Witte sagte. Schwarzarbeit und Verstöße gegen den Mindestlohn lägen somit auf der Hand.

In der Praxis handelt es sich offenbar um kalkulierte Manipulation: Ein Beschäftigter arbeitet 40 Stunden pro Woche, aber für weniger als den Mindestlohn. Am Ende eines Monats wird die komplette Lohnsumme durch den Mindestlohn geteilt, sodass die Zahl der gemeldeten Arbeitsstunden weit niedriger sei als die tatsächlich geleisteten. Die frisierten Daten meldet der Arbeitgeber an die Sozialkasse, wo der Betrug nicht auffalle.

„Der Mindestlohn wird in vielen Fällen offenbar dramatisch unterschritten“, sagte Wolf-Burkhard Wenkel, Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau. Der Bauindustrieverband Berlin-Brandenburg kritisierte, ein derartiges Fehlverhalten von Arbeitgebern gefährde die seriösen Betriebe.

Die betrügerische Meldepraxis empört nicht nur die Branche – der Sozialkasse und dem Finanzministerium entgehen dadurch jährlich Millionen. Die Sozialkasse hat nun die zuständige Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) auf die Betrüger angesetzt. Sollte die beim Bundesfinanzministerium angesiedelte Kontrollbehörde fündig werden, müssen betroffene Unternehmen mit Geldbußen oder sogar Gefängnisstrafen rechnen. Sofern man sie erwischt. Dies sei schwierig, wie der Regionalleiter der Gewerkschaft IG Bau, Rainer Knerler, dem Tagesspiegel sagte: „Oft sind das Kleinstbetriebe, die nur kurze Zeit am Markt bestehen, um dann unter einem anderen Namen zurückzukehren.“

Branchenkenner befürchten, dass die kriminelle Energie von Baufirmen ab 1. September noch zunehmen wird. Dann nämlich steigt in Berlin der Mindestlohn für gelernte Arbeiter von 12,50 Euro auf 12,85 Euro pro Stunde. In Brandenburg allerdings bleiben Fachkräfte mit 9,80 Euro weiterhin billig. TAZ