Pilger im Irak Opfer eines Anschlags

Vor einem hohen schiitischen Feiertag töten Selbstmordattentäterinnen in Bagdad zahlreiche Menschen. Insgesamt werden fast 60 Personen Opfer der Gewalt. Für die Regierung ist das ein herber Schlag. Extremisten rekrutieren offenbar gezielt Frauen

AUS BAGDAD INGA ROGG

Die irakische Regierung hat bei ihrem Bemühungen um eine Stabilisierung des Irak einen schweren Rückschlag erlitten. Selbstmordanschläge in Bagdad und in Kirkuk, wo Kurden, Arabern und Turkmenen um die Vormacht kämpfen, forderten am Montag mindestens 48 Tote und mehr als 200 Verletzte. Insgesamt kamen an diesem Tag fast 60 Menschen bei Gewalttaten ums Leben.

In Kirkuk riss eine Selbstmordattentäterin mindestens 22 Personen in den Tod. Sie sprengte sich am Rande einer Großdemonstration von Kurden gegen das geplante Provinzwahlgesetz in die Luft. Zahlreiche Demonstranten wurden während der Panik verletzt, die nach Warnschüssen der Polizei ausbrach.

In Bagdad forderte ein dreifacher Selbstmordanschlag auf schiitische Pilger nach Krankhaus- und Polizeiangaben mindestens 26 Tote und mehr als 70 Verletzte. Alle drei Anschläge wurden laut der Polizei von Frauen verübt. Innerhalb von einer Viertelstunde sprengten sich die Selbstmordattentäterinnen im Abstand von wenigen hundert Metern im Stadtteil Karrada in die Luft. Wie im gesamten Ostteil von Bagdad wohnen in Karrada vor allem Schiiten. Der Stadtteil gilt als einer der sichersten in der Hauptstadt, weshalb die Route der Pilger auch hier entlangführt. Um Anschläge von Selbstmordattentäterinnen zu verhindern, sind 200 weibliche Ersatzkräfte im Einsatz, um Frauen zu kontrollieren.

Seit Beginn des Jahres verzeichnen die Sicherheitskräfte einen sprunghaften Anstieg von Anschlägen, die von Selbstmordattentäterinnen verübt werden. Mindestens 15 Frauen haben sich in den vergangenen Monaten vor Polizeiwachen und an öffentlichen Plätzen in die Luft gesprengt, vor allem in der Unruheregion Diyala nordöstlich von Bagdad. Nach Erkenntnissen von Frauenorganisationen, der Polizei und den US-Streitkräften sind die Täterinnen meist Irakerinnen, die in den Kämpfen zwischen Schiiten und Sunniten ihre Eltern, Männer, Brüder oder Söhne verloren haben. Die Frauen würden auf Rache sinnen, sagte kürzlich ein US-Kommandant. Die sunnitische Terrorganisation al-Qaida im Irak beute dies aus, indem sie weibliche Hinterbliebene sowie Frauen mit geringer Bildung oder Lernbehinderungen rekrutiere und einer Gehirnwäsche unterziehe.

Für die irakische Regierung sind die Anschläge ein herber Schlag. Nachdem die Gewalt in den letzten Monaten auf den niedrigsten Stand seit mehr als vier Jahren gesunken ist, haben die Bürger wieder einen Funken Hoffnung geschöpft. Viele trauen sich in den Abendstunden wieder auf die Straße. Mit einem Großaufgebot an Polizisten und Soldaten wollte die Regierung für einen friedlichen Verlauf einer der wichtigen schiitischen Feiertage sorgen. Hunderttausende gläubige Schiiten pilgern in diesen Tagen nach Kadhimiya, um am Dienstag den Todestag von Imam Musa Kadhim im 8. Jahrhundert zu begehen.

Mit den brutalen Terroranschlägen auf schiitische Pilger hatten sunnitische Extremisten den Irak an den Rand eines Bürgerkriegs gestürzt. Viele Schiiten sahen in der Miliz des radikalen Predigers Muktada al-Sadr, die nicht weniger grausam gegen Sunniten ins Feld zog, ihren einzigen Schutz. Nach den Regierungsoffensiven im Frühjahr halten sich die Milizionäre derzeit an den von al-Sadr verlangten Waffenstillstand. Die Gräben zwischen den beiden großen islamischen Religionsgemeinschaften sind nach Jahren des gegenseitigen Mordens tief. Viele Schiiten glauben, dass die Al-Sadr-Miliz im Untergrund weiterhin bereit steht, sollten sich Anschläge auf Gläubige wie die vom Montag häufen.