Juwelen in Blech

Aufgepasst im Museumsshop: Zum Thema Auswanderung gibt es eine neue DVD. Auf ihr zu entdecken sind seltene Filmaufnahmen und groteske Anachronismen – unterlegt von lieblos ausgewählter Musik

Auswanderer heißt das Thema und eingangs gibt’s was auf die Ohren: Tremolierende Geigen, ein dramatisches Orchesteratmen, und gleich noch einmal – die ersten Takte der Schmoddersymphonik wabern, so lange das Hauptmenü der DVD auf dem Bildschirm flimmert. Sie heißt, je nach Sprachanwahl „Aufbruch in die Fremde“ oder „Destination America“, ist in der Bremer Edition Temmen erschienen und richtet sich wohl vornehmlich an Museumsshop-Kunden. Die versuchen nämlich nur selten, den Verkäufer zur Rücknahme des gekauften Artikels zu bewegen. Nicht einmal, wenn die DVD Schrott ist.

Wobei festzuhalten ist: Das Bildmaterial nicht. Im Gegenteil: Was Landesfilm-Archivar Diethelm Knauf an Original-Filmspulen aufgetan hat, ist exquisit. Besonders Thomas Alva Edisons Reisedokumentationen – eine Atlantik-Fahrt und Reisen durch die Sioux-Gebiete um 1900 – hat er ausgiebig genutzt. Sehr seltene Stücke, ja, echte Juwelen: Edison darf als erster Cineast überhaupt gelten. Sein Kinematograf funktionierte schon vier Jahre bevor die Brüder Lumière ihre Apparatur patentieren ließen. Und das „Black Maria“, in dem er ab 1896 vornehmlich selbst Gedrehtes zeigte, war das erste feste Filmtheater der Welt. Solche Zusatzinformationen spart sich Knauf aber. Manchmal, wenn auch sehr, sehr selten, fällt ein Entstehungsdatum. Und an einer Stelle – bei den Aufnahmen des schwankenden Schiffs – wird deren Urheber genannt. Das sei „der mit der Glühbirne“. Das ist Blech – und keine geeignete Fassung für Juwelen. Was den Film nicht nur ästhetisch zum Ärgernis macht.

Das beginnt wirklich schon mit der lieblosen Musik-Auswahl, die bedauerlich ist, weil von spezifischem Auswanderer-Liedgut über Bordkapellen-Programme bis zu einschlägiger sinfonischer Dichtung recht viel Geräuschhaftes zum Thema existiert. Aber dieser Mangel ist klein – verglichen mit den übrigen. Knauf hat nämlich – auf Text- wie auf Bildebene – alles – alles! – wüst zusammengetackert: Ein barbarisches und für einen Archivar geradezu groteskes Vorgehen. Es führt dazu, dass der eingesprochene Kommentar nur selten zu den Filmsequenzen passt. Nur ein Beispiel: Die Not im ländlichen Hessen um 1830 wird mit Filmaufnahmen eines Viehhirten in hügeliger Landschaft illustriert, die – zweifellos – auch alt sind. Aber wie alt? Was zeigen sie? Was haben sie mit Auswanderung zu tun? Dokumentarisch sind sie durch Knaufs Montage glatt entwertet.

Die peinlichste Text-Filmschere aber passiert mit zeitgenössischem Material: Gezeigt wird ein Interview mit einer um 1950 in die USA immigrierten Frau. Sie erinnert sich, wie sie, ganz junges, aufgeregtes Fräulein, vom Kapitän zum Portwein in die Kajüte gebeten wurde. „Das war ein Erlebnis!“ Die Zeitzeugen-Aussage wird aus dem Off anmoderiert: Damals, so hatte eine Männerstimme kurz vorher informiert, habe sich der Trend hin zur Urlaubs-Kreuzfahrt verlagert. Und jetzt: Musik! BES

Diethelm Knauf: Aufbruch in die Fremde, DVD, 80 Minuten, Edition Temmen